Dass Bücher „die schönste und interessanteste Ware der Welt sind, von der Wissen, Aufklärung und Weltverständnis ebenso ausgehen wie Verzauberung und Verführung“ – als Bücherliebhaber liest man gern, was der Verleger Lothar Wekel auf der Website des Verlagshauses am Römerweg schreibt. Aber schauen wir doch mal genauer, welche interessanten Waren dieses Verlagshaus vertreibt!
Unter seinem Dach logiert die Edition Erdmann, in der seit sechzig Jahren die großen Namen der europäischen Reiseliteratur, von Wilhelm von Rubruk bis Alfred Wegener, immer wieder neu aufgelegt werden. In dieser illustren Sammlung darf auch Antonio Pigafettas „Augenzeugenbericht von der ersten Weltumsegelung“ nicht fehlen. Die nächste Neuauflage ist bereits angekündigt, in einer wohlfeilen Ausgabe: „Das Original im Paperback“.
Das Etikett „Original“ scheint hier vor allem der Herausgeber zu verdienen: ein gewisser Robert Grün aus Wien, der offenbar ein Freund origineller Arbeitsmethoden war. Grün publizierte 1968 eine deutsche Fassung von Pigafettas Bericht im damaligen Horst Erdmann Verlag. 1970 legte er eine deutsche Bearbeitung des Bordbuchs von Christoph Columbus nach und 1973, gemeinsam mit seiner Frau, ein Buch über „Die Eroberung von Peru: Die Augenzeugenberichte von Celso Gargia, Gaspar de Carvajal, Samuel Fritz“, alle im Erdmann Verlag.
Was für eine beachtliche Reihe einschlägiger Veröffentlichungen! – dachte sich wohl ein Rezensent im Spektrum der Wissenschaft und attestierte dem Publizistenpaar Grün noch 2015, „ausgewiesene Kenner auf dem Gebiet der Historischen Geographie und des Zeitalters der Entdeckungen“ gewesen zu sein. Völlig zu Recht, denn:
Solche Kenner der Materie waren die Grüns, dass sie in ihrem Werk über die Eroberung Perus sogar einen „Augenzeugen“ jener bald 500 Jahre zurückliegenden Ereignisse präsentieren konnten, den bis dahin außer ihnen niemand gekannt hatte, nämlich den Augustinermönch „Celso Gargia“. Dieser „Fray Gargia“ soll Pizarros auf dessen Zug nach Peru begleitet und einen Bericht hinterlassen haben über das, was er dort mit eigenen Augen sah. Gefunden hatten die Grüns ihren „Zeugen“, wie sie einleitend erklärten, im Wiener Völkerkundemuseum (heute Weltmuseum), in einer dort befindlichen „Handschrift von Simancas“, deren Signatur sie freilich vergaßen anzugeben. Und das hatte seinen guten Grund …
Wie unlängst in der FAZ aufgedeckt, existiert diese Handschrift ebenso wenig, wie es jemals einen Celso Gargia gab. Wohl lebte einst in Spanien ein Augustinermönch namens Celso García, der auch tatsächlich als Autor eines Buches über „Pizarro o Historia del descubrimiento del Perú“ firmiert. Aber dieser Celso Garcia kam nicht im 15. oder 16. Jahrhundert, sondern 1884 zur Welt, und sein Buch erschien zuerst 1923 und trug den Untertitel „relatada a los niños“ – „erzählt für Kinder“.
Was die Grüns in ihrem Werk über „Die Eroberung Perus“ erzählten, war jedoch kein Kindermärchen, sondern eine Geschichte voller Blut, Fanatismus und Grausamkeit, die sie wohl im wesentlichen – so die Autoren des FAZ-Artikels – von dem amerikanischen Historiker William H. Prescott abgekupfert hatten. Dessen ursprünglich 1847 publizierte „History of the Conquest of Peru“ war kurz darauf auch auf Deutsch erschienen und 1937 in Wien neu aufgelegt worden. Das Ehepaar Grün tat nicht viel mehr, als Prescotts historische Erzählung in die erste Person umzuformulieren – fertig war der „Augenzeugenbericht“ des 16. Jahrhunderts, der in dieser Form sogar Eingang in deutsche und österreichische Schulbücher für Gymnasien fand.
Einschlägige vorstrafen
Der promovierte Altphilologe Robert Grün hatte offenbar bereits Anfang der 1930er Jahre, während seines Studiums an der Universität Wien, ein „entspanntes Verhältnis zur Wahrheit“ bewiesen, indem er die Unterschrift eines Professors fälschte und dafür eine Verwarnung und die Nicht-Anrechnung eines Semesters kassierte. Sein Titel wurde dem Herrn Doktor 1958 aberkannt, nachdem ihn das Landesgericht Linz wegen Veruntreuung von Verlagshonoraren zu einem Jahr „schwerer Kerkerstrafe“ verurteilt hatte, heißt es in dem FAZ-Artikel.
Nach dieser Lektüre war ich nun doch neugierig geworden, und so habe ich die Grün’sche Pigafetta-Ausgabe in der Edition Erdmann einer genaueren Prüfung unterzogen. (Dass ihr Text an vielen Stellen vom Original abweicht, war mir schon früher aufgefallen und der Grund, warum ich eine neue, authentische Übersetzung von Pigafettas Bericht anfertigte, die 2020 in der wbg erschienen ist.)
Koelliker hatte Pigafettas Bericht (in der 1801 bei Julius Perthes erschienen Übersetzung von Amorettis Edition) mit anderen historischen Quellen montiert. Sein Buch ist eine Art Quellen-Collage, die sich zu einer umfassenden Darstellung von Magellans geschichtsträchtiger Reise aufsummiert. Um ein Beispiel zu geben:
In Pigafettas Schilderung der Schlacht von Mactan am 21. März 1521, die Magellan das Leben kostete, schob Koelliker einen Abschnitt aus dem Brief des Maximilianus Transylvanus „Über die molukkischen Inseln“ ein, der Magellan folgende Ansprache in den Mund legte:
„Lasset euch nicht einschüchtern, meine Brüder, von der Ueberzahl dieser Indier, unserer Feinde! Gott wird mit uns sein! Erinnert euch, dass vor kurzem der Kapitän Fernando Cortes in Yukatan mit 200 Spaniern 200.000 und 300.000 Indianer besiegte.“ (Koellikers Übersetzung)
Was allerdings Unsinn ist, denn die Nachricht von Cortés’ Umtrieben in Yucatán (bzw. Tabasco, denn gemeint ist wohl die Schlacht von Centla) gelangte erst im November 1519 nach Europa, zwei Monate nach Magellans Abreise von Kastilien, sodass dieser davon gar nichts wissen konnte. Aber egal. Transylvanus schrieb es, und Koelliker zitierte ihn. Zitierte ihn wohlgemerkt, wie es sich gehört, mit Angabe seiner Quelle. Grün wiederum übernahm das Zitat, aber ohne es als solches kenntlich zu machen. Bei ihm wirkt es, als hätte Pigafetta selbst die vermeintliche Rede Magellans berichtet. Und so ging Grün an vielen Stellen vor: Er übernahm Koellikers Einschübe in Pigafettas Text, aber anders als Koelliker kennzeichnete er sie nicht als Einschübe, sodass ein unbedarfter Leser nun für Pigafettas eigene Worte halten muss, was eigentlich aus anderer Quelle stammt.
Zwar wies Grün in einer „Anmerkung zur Edition“ darauf hin, am Text „geringfügige Veränderungen oder sogar Einfügungen“ vorgenommen zu haben, „die dem Brief des Maximilianus Transilvanus oder den Werken zeitgenössischer Historiker entstammen“. Aber er verschwieg, dass er diese Einfügungen nahezu wörtlich von Koelliker übernommen hatte und nannte weder dessen Namen noch dessen Buch. Auch verriet Grün nicht, dass er überdies noch weitere Passagen in Pigafettas Bericht eingefügt hatte, die weder bei Koelliker noch sonstwo dokumentiert sind, sondern gänzlich seiner eigenen Fantasie entsprungen waren.
Sex & Crime
In welchen Sphären sich die Fantasie des Ex-Doktors bewegte, lässt sich jenen Stellen seiner Pigafetta-Edition entnehmen, die sich nur dort und sonst nirgends in der Literatur finden. Da wird von Streit- und Mordfällen fabuliert, von sexuellen und kannibalistischen Gelüsten, verurteilten Ehebrechern, Meuterei-Komplotten, Schlangenbissen und dergleichen Dingen mehr – reinste Pulp Fiction, mit der Grün wohl Pigafettas Text aufpeppen wollte. Eine dieser Szenen gebe ich hier wieder. Sie soll sich während der monatelangen Fahrt über den Pazifik abgespielt haben, während derer die Besatzungen der Schiffe großen Hunger litten:
„Ich sah einen, der mit von Gier erfüllten Augen auf einen soeben verstorbenen Spanier starrte und dabei den Unterkiefer mahlend hin und her bewegte, und ich gab mich keinem Zweifel hin, daß dieser Seemann überlegte, welches Stück er aus dem Toten schneiden könnte, um es roh hinunterzuschlingen.“
Wie war das noch? Wissen, Aufklärung, Weltverständnis, Verzauberung und Verführung …
Bevor Sie nun der Verführung erliegen und sich – in der Hoffnung auf Wissen und Aufklärung – überlegen, Pigafettas schönen und interessanten Bericht von der ersten Erdumsegelung in der Edition von Robert Grün zu lesen: Vom allzu gierigen Verschlingen dieses Buchs sei abgeraten. Sie sollten es zuerst gründlich filetieren und unbedingt cum grano salis zu sich nehmen.
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