Veröffentlicht am 10. März 2025
Als regelmäßiger Konsument dieser Reality-Show namens „Politik“ komme ich mir derzeit vor wie in dem alten Witz, wo einer sagt: Setz dich erstmal ruhig hin und atme tief durch, es könnte schlimmer kommen, und du setzt dich ruhig hin, atmest tief durch, und es kommt schlimmer.
Dabei hat das ganze etwas Gespenstisches, weil der Alltag in unseren Wohnungen und Büros scheinbar unbeschadet weitergeht – wie an jenem 11. September, als wir vor dem Fernseher zusahen, wie die zwei Türme einstürzten. So können wir jetzt live dabei zuschauen, wie das Kartenhaus aus Heuchelei und Illusionen, das wir „Weltordnung“ nannten und von dem wir meinten, es sei in Stein gemeißelt, auseinanderfliegt.
Schon einmal habe ich eine Zeit erlebt, in der sich die Ereignisse derart überschlugen, dass ich kaum hinterher kam: nach dem 9. November 1989, als die Mauer über Nacht zerbröckelte und mit ihr die Weltordnung, die sie symbolisierte.
In der Erinnerung vieler Leute – auch solcher, die sie wie meine Tochter nicht selbst erlebt haben – ist diese Zeit mit positiven Gefühlen verbunden: eine Zeit des Aufbruchs, der Hoffnungen, grenzenloser Freiheit. Aus heutiger Perspektive erkennt man eher eine Epoche des Leichtsinns, der ungenutzten Chancen und falschen Versprechungen.
Die Wiedervereinigung und das Internet waren für meine Generation wohl die größten Umwälzungen jener Jahre. Beide wurden mit geradezu millenaristischer Euphorie gefeiert. Beide haben sich als demokratiepolitische Desaster erwiesen. Und die dritte große Hoffnung, nein, eigentlich gewisse Erwartung meiner Generation – Europa? Immerhin, die Union gibt es noch.
In meiner persönlichen Erinnerung sind die Jahre Ende der 80er, Anfang der 90er alles andere als rosarot getönt. Die Dynamik des Umbruchs damals verunsicherte mich, ebenso die Gewalt, die mit ihm einherging. Der auf einmal wieder grassierende Nationalismus in Deutschland, in Osteuropa. Brennende Asylantenheime, „Glatzenstress“ nachts auf den Straßen. Boom der organisierten Kriminalität. Die Sorge: Was wird aus den sowjetischen Atomwaffen? Krieg im zerfallenden Jugoslawien, Krieg in der zerfallenden UdSSR: Bergkarabach, Abchasien, Südossetien. Tschetschenien. Islamismus und Staatsterror in Algerien. Und schließlich: Ruanda.
Während des Bosnienkriegs ab 1992 nahm die Dichte an Horrormeldungen derart zu, dass ich monatelang gar keine Nachrichten mehr verfolgte. Das ging damals leichter als heute, vor allem wenn man wie ich keinen Fernseher hatte. Aber die Augen vor der Welt und ihren Gefahren zu verschließen, ist auf Dauer auch keine Lösung.
Ist die Welt heute gefährlicher als vor dreißig Jahren? Für uns Mitteleuropäer wahrscheinlich ja. Dennoch sind Illusionen etwas, dessen Verlust ich nicht beklagen kann. So übertrieben ich damals den Optimismus meiner Zeitgenossen fand, so kleinmütig finde ich heute ihren Pessimismus. Wir wissen nicht, wie die Geschichte ausgeht. Wir wussten es noch nie.
Aber wir wissen, was auf dem Spiel steht. Frieden ohne Freiheit ist wertlos. Und Freiheit ohne Gerechtigkeit ist Tyrannei. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Menschen in der Ukraine, die seit Jahren gegen das Unrecht kämpfen. Ihre Niederlagen nämlich beweisen nichts, als dass sie zu wenige sind …
Lassen wir die Ukraine nicht im Stich!