Hewn In Water, Not In Stone

Veröffentlicht am 27. Mai 2025

Des Mythos’ von der ersten Weltumsegelung haben sich schon viele Künste angenommen: Malerei und Musik, Film und Hörspiel, der Comic und, natürlich, die Literatur in ihren verschiedenen Spielarten. Angesichts der Monumentalität des Stoffes musste jede Darstellung letztlich Stückwerk bleiben – bis zu dem Tag, an dem „Elcano“ in See stachen mit dem Ziel, das Heldenepos von den 240, die 1519 von Sevilla ausfuhren, und den 18, die 1522 zurückkehrten, nachdem sie die ganze Rundung der Welt entdeckt und umrundet hatten, endlich in die Sphäre zu heben, in die es gehört: die des Gesamtkunstwerks.

„Elcano“ sind eine Band, die sich dem „Nautical Metal“ verschrieben haben und naheliegenderweise aus der Schweiz stammen, aus Olten im Kanton Solothurn. In diesem Frühjahr haben sie ihr erstes Album veröffentlicht – eine musikalische Reverenz an „The First Circumnavigation of the World“ in 10 eingängigen Tracks mit Titeln wie „Half A World“, „Tierra Del Fuego“ und „78 Days at Sea“.

Leaflet zu „The First Circumnavigation of the World“ von „Elcano“ (Ausschnitt).

Die Oltener Interpretation des Genres „Nautical“, die offen ist für vielerlei Einflüsse von Doom über Power und Gothic bis Symphonic Metal und Shanty Chor, erweist sich auf diesem Album als kongeniale Vergegenwärtigung des Mythos. Zwar ist gegen die Befehle des Generalkapitäns eine Frau an Bord gekommen, doch das bringt dem Unternehmen kein Unglück.

Josy Fines sirenenhafter Gesang und ein ungeniert melodiöses Keyboard erzeugen das für die Thematik unablässige Pathos, während Guitarrenriffs für ordentlich Schwere im Kiel sorgen und die rauhen Kehlen des Matrosenchors die Elemente beschwören, damit die stolze akustische Armada nicht in die Untiefen des Kitsches abdriftet – eine Gefahr, die in diesen musikalischen Breiten stets dräut, die „Elcano“ aber gekonnt zu umschiffen wissen. Dies nicht zuletzt auch dank den Lyrics ihrer Songs.

Indem die Texte Schlüsselmomente des Mythos ansprechen, vermessen sie einen weiten Horizont existenzieller Themen, die seit alters an der Seefahrt hängen: Flaute und Wahnsinn, Gier und Verzweiflung, Sturm und Tod, Mond und Sterne, Hunger und Alkohol – das alles in einem durchwegs hohen Ton, der gekonnt zwischen päpstlicher Kanzlei des 15. Jahrhunderts und Coleridge’s „Rime of the Ancient Mariner“ oszilliert.

Zu erwähnen ist last, but not least das liebevolle Artwork, an dem sich Käuferinnen der CD oder Käufer der Vinyl Edition erfreuen können.

„We hope for land, a world without a name
Where our dreams come true, we lay our claim …“

Mit diesem Album haben „Elcano“ nicht nur einen Traum wahrgemacht, sondern auch einen starken „claim“ erhoben auf das definitive musikalische Reenactment der Ersten Erdumsegelung!

Website der Band

Album auf bandcamp

Angesagt

Veröffentlicht am 8. April 2025

In einer neuen Reihe von Beiträgen in der Wochenzeitung „Die Furche“ stellen Sandra Gugić, Daniel Wisser, Christa Zöchling und ich reihum Bücher vor, von denen wir meinen, dass wir sie gerade jetzt wieder lesen sollten. Bücher, die vielleicht schon vor langer Zeit erschienen sind, die uns aber heute mehr denn je „angesagt“ erscheinen – so lautet denn auch der Titel der Reihe.

Den Anfang machte Christa Zöchling mit Philipp Roths Roman „Verschwörung gegen Amerika“. Es folgten Daniel Wisser mit Else Feldmanns „Der Leib der Mutter“ und Sandra Gugić mit Victor Klemperers „LTI – Lingua Tertii Imperii“. In der aktuellen Ausgabe stelle ich nun Hertha Paulis „Der Riss der Zeit geht durch mein Herz“ vor, in der die österreichisch-amerikanische Autorin die Geschichte ihrer Flucht vor den Nazis erzählt, zuerst im März 1938 aus Österreich und dann, nach dem deutschen Angriff im Mai 1940, auch aus Frankreich.

Bild: Carl Hanser Verlag, München

Meine Generation von Europäern kennt diesen Kontinent vor allem als Ziel von Geflohenen und Flüchtenden. Das Buch von Hertha Pauli erinnert uns daran, dass vor gar nicht allzu langer Zeit sehr viele Menschen aus Europa fliehen mussten. Und sich glücklich schätzen durften, wenn sie anderswo Aufnahme fanden – so wie die Autorin nach viel Zittern und Bangen schließlich in den USA.

So dramatisch die Umstände ihrer Flucht waren, so unprätentiös schildert Hertha Pauli, was ihr widerfuhr. Sehr lesenswert auch, was und wie sie von den Menschen erzählt, denen sie unterwegs begegnete, darunter viele namhafte Persönlichkeiten der Kulturwelt wie Ödön von Horvath, Joseph Roth, Walter Mehring und Alma Mahler-Werfel.

Erschienen sind Hertha Paulis Erinnerungen zuerst 1970 und seither in mehreren Neuauflagen, zuletzt 2022 bei Zsolnay.

Wer mehr über „Die große Flucht der Literatur“ aus Europa und Frankreich wissen will, dem oder derjenigen sei auch das Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock empfohlen.

Die Reihe „angesagt“ erscheint alle zwei Woche – auch online – in „Die Furche“.

Endlich wieder erhältlich:

Pigafetta auf Deutsch

Veröffentlicht am 21. Januar 2025

Er ist mir ans Herz gewachsen, der gute Pigafetta. Von 1519 bis 1522 ist er unter den Kapitänen Magalhães, Carvalho, Gómez Espinosa und Elcano einmal rund um den Erdball gesegelt. Es war das erste Mal, soweit wir wissen, dass Menschen eine solche Reise unternommen haben, und Pigafetta hat darüber berichtet – so anschaulich und unterhaltsam, dass sich sein Bericht noch heute liest, als wäre sein Autor eben erst aus der Ferne zurückgekehrt.

Zu Recht gilt sein Werk daher als Klassiker der Reiseliteratur. Es wurde in viele Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche, aber bis vor wenigen Jahren waren alle deutschen Übersetzungen, die es von Pigafettas Bericht gab, gekürzt und teils grob verfälscht. Daher habe ich den Text neu übersetzt, zum ersten Mal direkt aus der Originalsprache ins Deutsche, und die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg) hat die Neuübersetzung 2020 als Buch herausgebracht.

Leider ist die wbg Ende 2023 insolvent gegangen. Seitdem war die Neuübersetzung vergriffen und Pigafettas schöner Bericht abermals nur in unvollständiger, entstellter Form erhältlich. Um so mehr freue ich mich, dass der Verlag C.H. Beck nun eine überarbeitete Neuauflage meiner Übersetzung auf den Markt bringt. Sie kommt demnächst in die Buchläden und wird gewiss allen Menschen Freude machen, die gern mit Büchern auf die Reise gehen.

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