Angesagt

Veröffentlicht am 8. April 2025

In einer neuen Reihe von Beiträgen in der Wochenzeitung „Die Furche“ stellen Sandra Gugić, Daniel Wisser, Christa Zöchling und ich reihum Bücher vor, von denen wir meinen, dass wir sie gerade jetzt wieder lesen sollten. Bücher, die vielleicht schon vor langer Zeit erschienen sind, die uns aber heute mehr denn je „angesagt“ erscheinen – so lautet denn auch der Titel der Reihe.

Den Anfang machte Christa Zöchling mit Philipp Roths Roman „Verschwörung gegen Amerika“. Es folgten Daniel Wisser mit Else Feldmanns „Der Leib der Mutter“ und Sandra Gugić mit Victor Klemperers „LTI – Lingua Tertii Imperii“. In der aktuellen Ausgabe stelle ich nun Hertha Paulis „Der Riss der Zeit geht durch mein Herz“ vor, in der die österreichisch-amerikanische Autorin die Geschichte ihrer Flucht vor den Nazis erzählt, zuerst im März 1938 aus Österreich und dann, nach dem deutschen Angriff im Mai 1940, auch aus Frankreich.

Bild: Carl Hanser Verlag, München

Meine Generation von Europäern kennt diesen Kontinent vor allem als Ziel von Geflohenen und Flüchtenden. Das Buch von Hertha Pauli erinnert uns daran, dass vor gar nicht allzu langer Zeit sehr viele Menschen aus Europa fliehen mussten. Und sich glücklich schätzen durften, wenn sie anderswo Aufnahme fanden – so wie die Autorin nach viel Zittern und Bangen schließlich in den USA.

So dramatisch die Umstände ihrer Flucht waren, so unprätentiös schildert Hertha Pauli, was ihr widerfuhr. Sehr lesenswert auch, was und wie sie von den Menschen erzählt, denen sie unterwegs begegnete, darunter viele namhafte Persönlichkeiten der Kulturwelt wie Ödön von Horvath, Joseph Roth, Walter Mehring und Alma Mahler-Werfel.

Erschienen sind Hertha Paulis Erinnerungen zuerst 1970 und seither in mehreren Neuauflagen, zuletzt 2022 bei Zsolnay.

Wer mehr über „Die große Flucht der Literatur“ aus Europa und Frankreich wissen will, dem oder derjenigen sei auch das Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock empfohlen.

Die Reihe „angesagt“ erscheint alle zwei Woche – auch online – in „Die Furche“.

Wir, die Objektiven

Veröffentlicht am 10. März 2025

Als regelmäßiger Konsument dieser Reality-Show namens „Politik“ komme ich mir derzeit vor wie in dem alten Witz, wo einer sagt: Setz dich erstmal ruhig hin und atme tief durch, es könnte schlimmer kommen, und du setzt dich ruhig hin, atmest tief durch, und es kommt schlimmer.

Dabei hat das ganze etwas Gespenstisches, weil der Alltag in unseren Wohnungen und Büros scheinbar unbeschadet weitergeht – wie an jenem 11. September, als wir vor dem Fernseher zusahen, wie die zwei Türme einstürzten. So können wir jetzt live dabei zuschauen, wie das Kartenhaus aus Heuchelei und Illusionen, das wir „Weltordnung“ nannten und von dem wir meinten, es sei in Stein gemeißelt, auseinanderfliegt.

Schon einmal habe ich eine Zeit erlebt, in der sich die Ereignisse derart überschlugen, dass ich kaum hinterher kam: nach dem 9. November 1989, als die Mauer über Nacht zerbröckelte und mit ihr die Weltordnung, die sie symbolisierte.

In der Erinnerung vieler Leute – auch solcher, die sie wie meine Tochter nicht selbst erlebt haben – ist diese Zeit mit positiven Gefühlen verbunden: eine Zeit des Aufbruchs, der Hoffnungen, grenzenloser Freiheit. Aus heutiger Perspektive erkennt man eher eine Epoche des Leichtsinns, der ungenutzten Chancen und falschen Versprechungen.

Die Wiedervereinigung und das Internet waren für meine Generation wohl die größten Umwälzungen jener Jahre. Beide wurden mit geradezu millenaristischer Euphorie gefeiert. Beide haben sich als demokratiepolitische Desaster erwiesen. Und die dritte große Hoffnung, nein, eigentlich gewisse Erwartung meiner Generation – Europa? Immerhin, die Union gibt es noch.

In meiner persönlichen Erinnerung sind die Jahre Ende der 80er, Anfang der 90er alles andere als rosarot getönt. Die Dynamik des Umbruchs damals verunsicherte mich, ebenso die Gewalt, die mit ihm einherging. Der auf einmal wieder grassierende Nationalismus in Deutschland, in Osteuropa. Brennende Asylantenheime, „Glatzenstress“ nachts auf den Straßen. Boom der organisierten Kriminalität. Die Sorge: Was wird aus den sowjetischen Atomwaffen? Krieg im zerfallenden Jugoslawien, Krieg in der zerfallenden UdSSR: Bergkarabach, Abchasien, Südossetien. Tschetschenien. Islamismus und Staatsterror in Algerien. Und schließlich: Ruanda.

Während des Bosnienkriegs ab 1992 nahm die Dichte an Horrormeldungen derart zu, dass ich monatelang gar keine Nachrichten mehr verfolgte. Das ging damals leichter als heute, vor allem wenn man wie ich keinen Fernseher hatte. Aber die Augen vor der Welt und ihren Gefahren zu verschließen, ist auf Dauer auch keine Lösung.

Ist die Welt heute gefährlicher als vor dreißig Jahren? Für uns Mitteleuropäer wahrscheinlich ja. Dennoch sind Illusionen etwas, dessen Verlust ich nicht beklagen kann. So übertrieben ich damals den Optimismus meiner Zeitgenossen fand, so kleinmütig finde ich heute ihren Pessimismus. Wir wissen nicht, wie die Geschichte ausgeht. Wir wussten es noch nie.

Aber wir wissen, was auf dem Spiel steht. Frieden ohne Freiheit ist wertlos. Und Freiheit ohne Gerechtigkeit ist Tyrannei. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Menschen in der Ukraine, die seit Jahren gegen das Unrecht kämpfen. Ihre Niederlagen nämlich beweisen nichts, als dass sie zu wenige sind …

Lassen wir die Ukraine nicht im Stich!

Endlich wieder erhältlich:

Pigafetta auf Deutsch

Veröffentlicht am 21. Januar 2025

Er ist mir ans Herz gewachsen, der gute Pigafetta. Von 1519 bis 1522 ist er unter den Kapitänen Magalhães, Carvalho, Gómez Espinosa und Elcano einmal rund um den Erdball gesegelt. Es war das erste Mal, soweit wir wissen, dass Menschen eine solche Reise unternommen haben, und Pigafetta hat darüber berichtet – so anschaulich und unterhaltsam, dass sich sein Bericht noch heute liest, als wäre sein Autor eben erst aus der Ferne zurückgekehrt.

Zu Recht gilt sein Werk daher als Klassiker der Reiseliteratur. Es wurde in viele Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche, aber bis vor wenigen Jahren waren alle deutschen Übersetzungen, die es von Pigafettas Bericht gab, gekürzt und teils grob verfälscht. Daher habe ich den Text neu übersetzt, zum ersten Mal direkt aus der Originalsprache ins Deutsche, und die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg) hat die Neuübersetzung 2020 als Buch herausgebracht.

Leider ist die wbg Ende 2023 insolvent gegangen. Seitdem war die Neuübersetzung vergriffen und Pigafettas schöner Bericht abermals nur in unvollständiger, entstellter Form erhältlich. Um so mehr freue ich mich, dass der Verlag C.H. Beck nun eine überarbeitete Neuauflage meiner Übersetzung auf den Markt bringt. Sie kommt demnächst in die Buchläden und wird gewiss allen Menschen Freude machen, die gern mit Büchern auf die Reise gehen.

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