Als der Krieg in seinen ersten Winter ging, war mir klar, dass wir nicht tatenlos bleiben konnten, dass auch wir unseren Beitrag leisten mussten, damit nicht der Aggressor triumphierte. Mich selbst zur kämpfenden Truppe zu melden, kam nicht in Frage, schon meines Alters wegen nicht, vor allem aber, weil ich in meiner Jugend keine soldatische Ausbildung genossen habe (obwohl der Staat sie mir seinerzeit kostenlos zur Verfügung gestellt hätte). Unerfahren, untrainiert und von Natur aus ängstlich wäre ich den Verteidigern mehr Last als Hilfe gewesen. Doch ich wusste, was ich stattdessen tun konnte, um den Angegriffenen beizustehen …
Wie so viele Menschen in unserem Land heizen auch wir unser Haus mit Gas, und zwar mit Gas, das großteils aus Russland kommt. Ein gutes Gefühl hatte ich dabei nie, aber mit Hilfe opportunistischer Erwägungen war es mir über die Jahre immer wieder gelungen, mein Unbehagen zu verdrängen. Seit dem 24. Februar 2022 ist das jedoch nicht mehr möglich.
Nach dem Schock des Angriffs hatten wir für unser Haus gleich einen zweiten Kaminofen und eine große Fuhre Holz bestellt – keineswegs voreilig, wie sich zeigte, denn die Nachfrage nach Öfen und Brennholz schoss bald durch die Decke. Wir aber besaßen nun zwei Öfen, einen im Alt- und einen im Anbau, die leistungsstark genug waren, um zumindest die zentralen Räume des Hauses zu erwärmen, sowie einen stattlichen Vorrat an Brennstoff. Damit fühlten wir uns weniger erpressbar. Selbst wenn es hart auf hart käme, würden wir im Winter auch ohne Gas nicht frieren müssen.
Doch allen Drohungen zum Trotz strömte das Gas weiter in unser Land und in unser Haus, und das war auch kein Wunder, finanzierte der Aggressor doch mit dem Gas seinen mörderischen Krieg, der nicht nur die Existenz der attackierten Ukraine, sondern unser aller Frieden und Freiheit bedrohte. Umso mehr galt es, seine Einnahmen aus diesem Geschäft, so weit es irgend ging, zu drosseln. Und hier kamen unsere Öfen ins Spiel.
Wer je mit einem Zimmerofen für Festbrennstoffe geheizt hat, weiß, dass das zwar romantisch, aber mit Arbeit verbunden ist. Brennholz muss beschafft, eingelagert, auf handliche Größe geschnitten und portionsweise ins Haus geschafft werden. Man muss den Ofen jeden Tag erst an- und dann auf Betriebstemperatur hinaufheizen, später drosseln und entsprechend des Bedarfs regulieren, das heißt immer wieder nachlegen und die Luftzufuhr justieren. Dabei sollte man den Ofen entweder im Auge behalten oder mit der Zeit ein Gefühl dafür entwickeln, wann man nachlegen muss; tut man es zu spät, ist er nur mit Mühe wieder auf Touren zu bringen. Dabei ist nicht nur jeder Ofen anders, sondern der Verbrauch schwankt auch je nach Qualität des Brennolzes, Außentemperatur, Windstärke, Windrichtung usw.
Am nächsten Tag muss der Ofen gesäubert, die Asche mit einem Handfeger ausgekehrt und außer Haus gebracht werden. Ist der Ofen, wie unsere es sind, mit Scheiben ausgestattet, so sind diese periodisch – je nach Geschick beim Anheizen – zu reinigen, am besten mittels Zeitungspapier, Wasser und Asche. Auch der Boden um den Ofen wird laufend schmutzig durch Dreck, den man mit dem Holz ins Haus trägt, und herauswirbelnde Asche. (Über den Feinstaub, der bei der Verbrennung anfällt, macht man sich am besten gar nicht erst Gedanken.) Je nach Empfindlichkeit wird man mithin auch untertags immer wieder Kehrschaufel und Besen oder den Wischeimer zur Hand nehmen.
Aber da hat der tägliche Ablauf längst von vorn begonnen: Holz ins Haus schaffen, den Ofen anheizen, aufheizen, nachschauen, nachlegen, Holz nachholen, bis am nächsten Morgen wieder das Auskehren der Asche ansteht, und so geht es fort, Tag um Tag, Woche für Woche, den ganzen Winter. Man trage im übrigen keine helle Kleidung, denn es ist fast unvermeidlich, dass man sich entweder beim Einheizen oder Säubern mit Ruß beschmutzt, und vergesse nicht das Händewaschen, sofern man keine Handschuhe trägt, sonst zieren Rußflecken vor allem Türen, Zargen und Lichtschalter.
Mit zwei Öfen hatte ich diese Arbeit nun doppelt, wobei der neue Ofen, den wir in unsere Wohnküche gestellt hatten, eher klein war und deswegen sehr oft bestückt werden musste. Schnell sah ich ein, dass ich ihn kaum den ganzen Tag am Laufen halten konnte. Stattdessen ging ich dazu über, ihn immer erst abends einzuheizen, wenn sich die ganze Familie wie in der guten alten Zeit in der Küche versammelte; denn in den anderen Räumen, Schlaf- und Kinderzimmern, war es, solange die Gasheizung nicht ansprang, ziemlich kühl. Dass die Heizung ansprang, versuchte ich aber tunlichst zu vermeiden, indem ich die Öfen, wann immer es ging, in Betrieb nahm, tagsüber den in meinem Arbeitszimmer, der, moderate Kälte vorausgesetzt, das gesamte Untergeschoß des Altbaus mit Wärme versorgte, und abends wie gesagt das Öfchen im Anbau, in unserer Wohnküche. Da sich dort auch der Thermostat für die Zentralheizung befindet und der Anbau besser (bzw. überhaupt) gedämmt ist, reichte die in der Küche gespeicherte Wärme hin, dass die Gasheizung sich für viele Stunden, manchmal bis zum nächsten Morgen nicht mehr einschaltete.
So gelang es mir durch konsequentes Heizen beider Öfen unseren Gasverbrauch in jenem Winter auf weniger als ein Drittel des Vorkriegsniveaus zu senken, von ca. 1450 auf 470 Kubikmeter im Jahr – und das obwohl mich vor Weihnachten eine Grippe für zwei Wochen außer Gefecht gesetzt hatte, ausgerechnet während der ersten Kältewelle jenes Winters, sodass die Gasheizung in dieser Zeit permanent lief. Dennoch befand ich am Ende des Winters, dass ich alles in allem zufrieden sein konnte mit dem Resultat meiner Anstrengungen, ja ich sah sogar ein wenig optimistischer in die Zukunft, auch wenn ich spürte, dass mein Einsatz an der Heizfront einen Preis hatte, den ich womöglich noch länger abbezahlen würde.
Irgendwann im Lauf des Winters bemerkte ich einen Schmerz zunächst im linken Ellenbogen, der immer dann auftrat, wenn ich ein Holzscheit nahm und in den Ofen legte. Mit der Zeit verstetigte sich dieser Schmerz. Er trat auch bei anderen Tätigkeiten auf, strahlte in Ober- und Unterarm aus und wurde irgendwann so penetrant, dass ich fast jede Nacht aufwachte, weil mein linker Arm so sehr schmerzte. Ich versuchte den Arm zu entlasten, ohne jedoch meinen Ehrgeiz beim Heizen zu drosseln, indem ich mehr auf den rechten Arm zurückgriff. Außerdem machte ich täglich Dehn- und Lockerungsübungen, die ich mir auf Youtube angesehen hatte. Ich will nicht sagen, dass diese Maßnahmen sinnlos waren, aber sie bewirkten nicht nur keinen merklichen Rückgang der Beschwerden, sondern gegen Ende des Winters begann auch der rechte Arm vom Ellenbogen ausgehend zu schmerzen. Schließlich suchte ich eine orthopädische Praxis auf.
Tennisellenbogen hieß die Diagnose. Die Orthopäden empfahlen mir, abends Ibuprofen und Novalgin zu nehmen, um besser zu schlafen, verpassten mir Injektionen und, als diese nicht halfen, hochenergetische Stoßwellen und Ergotherapie. Unterdessen wurde es erneut Herbst, und der Krieg in der Ukraine ging weiter, ohne dass die angekündigte Sommeroffensive, wie erhofft, das Blatt zugunsten der Verteidiger gewendet hatte. Im Gegenteil, der Aggressor schien immer mehr die Oberhand zu gewinnen.
Man müsse Geduld haben, sagten die Orthopäden. Die heilende Wirkung der Stoßwellen zeige sich erst nach mehreren Wochen. Als ich ihnen zwei Monate später berichten musste, dass der linke Arm seit der Behandlung sogar mehr weh tat als vorher und zehn Einheiten Ergotherapie auch nur wenig bewirkt hatten, waren sie kurz ratlos. Nun verordneten sie mir neue Behandlungen: Galvanisation, Iontophorese und Ultraschalltherapie. Doch nach drei Sitzungen schmiss ich die Flinte ins Korn, weil ich abermals keinerlei Verbesserung spürte. Mittlerweile war der Krieg in seinen zweiten Winter eingetreten.
Während sich der zweite Jahrestag der Invasion nähert, lese ich Tag für Tag von Drohnenangriffen auf die Ukraine, von der schwierigen Lage an der Front, vom langsamen, wenn auch für sie verlustreichen Vorrücken der Angreifer, und Tag für Tag befeuere ich weiterhin meine Öfen mit Holzscheiten, auch wenn meine Arme schmerzen und ich im Grunde weiß, dass mein Einsatz am Ende wohl keinen Unterschied machen wird. Aber von den Orthopäden erwarte ich auch nicht mehr viel.