Ein Bäcker in St. Pölten wollte ändern
Den Namen eines Brotes, das sich gut
Verkaufte. Also fasste er sich Mut
Und machte etwas, das in andern Ländern
Längst üblich: Er versuchte es mit Gendern.
Doch wenn man sowas in St. Pölten tut,
Entzündet unverzüglich sich die Wut,
Die schwelt und knistert an den rechten Rändern.
Ein Shitstorm braute drohend sich zusammen
In jedem Social Media-Kanal.
Der brave Bäcker sah bereits in Flammen
Die Bäckerei und sich am Marterpfahl.
Schnell hörte man „Entschuldigung“ ihn stammeln,
Denn Gendern gilt als ziemlich radikal.
Unlängst habe ich mich an dieser Stelle über den literarischen Fälscher Robert Grün ausgelassen, Schöpfer des Mönches „Celso Gargia“, der Pizarro bei der Eroberung von Perú begleitet und darüber ein Tagebuch hinterlassen haben soll. Dass Mönch und Tagebuch bloß Ausgeburten von Grüns Fantasie waren, ist 50 Jahre lang niemandem aufgefallen – auch nicht den Redakteurinnen und Redakteuren namhafter Schulbücher, die bis heute aus dem vermeintlich „zeitgenössischen Bericht“ zitieren.
Diese Geschichte ist inzwischen auch in der „Furche“ nachzulesen (leider nur für Abonnentinnen und Abonnenten; ein zweiwöchiges Probeabo ist jedoch gratis).
Bevor Robert Grün 1973 seinen „Celso Gargia“ erfand, hatte er 1968 eine Übersetzung von Antonio Pigafettas Reisebericht von der ersten Schiffsreise um die Erde herausgegeben. Grüns Pigafetta-Ausgabe wird immer wieder neu aufgelegt (die nächste Auflage ist für November 2023 angekündigt), obwohl sie einerseits ein dreistes Plagiat ist, andererseits eine Fälschung.
Plagiat, weil Grün großteils das Werk eines Schweizer Autors kopierte, ohne diesen zu nennen, nämlich Oscar Koellikers „Die erste Umseglung der Erde durch Fernando de Magallanes und Juan Sebastian del Cano 1519-22“.
Fälschung, weil Grün dem Bericht Pigafettas allerhand hinzudichtete, was seiner Fantasie entsprungen war: Geschichten von Sex & Crime, Mord und Totschlag, tödlichen Schlangenbissen, Kannibalismus u. dgl. m.
Belege für Plagiat und Fälschung habe ich in folgenden Dokumenten zusammengestellt (pdf_s zum Download):
Mit immerwährend großem Ruhm bedecken
Tat sich der Schöpfergott, als er die Welt
Erschuf und alles, was sie so enthält.
Doch was nur wollte Er damit bezwecken,
Als Er ins Dasein rief die nackten Schnecken?
Die hat der Teufel wohl bei Ihm bestellt.
Sie haben mir schon oft den Tag vergällt,
Sind aller Gartenfreunde wahrer Schrecken.
Das Schlimme ist an diesen grausen Tieren,
Dass ihnen leider welkes Grün nicht reicht
Und sie nach jungen Pflanzen immer gieren.
Und wenn er seinem Beete naht, erbleicht
Der Gärtner, weil er statt Salat bloß Schlieren
Sieht und sein Garten einem Schlachtfeld gleicht.
Nicht Erwin Lindemann, nein, sondern Bill
Benannte sich ein sehr berühmter Sänger.
Der tourt mit seiner Gruselband schon länger
Durchs Land, und die Konzerte sind der Thrill.
Doch nach der Show wirds immer furchtbar still
In Bill, da kriegt er immer voll den Hänger.
Zum Glück ist er ein wahrer Seelenfänger,
Der weiß, was so ein junges Mädel will.
Er lässt die jungen Dinger sich von Schranzen
Ins Hinterzimmer seiner Bühne führen,
Wo sie nach Gabe chemischer Substanzen
Für ihn allein hinter verschlossnen Türen
Zutiefst entspannt ganz ohne Hemmung tanzen,
Und Bill kann sie in Ruhe penetrieren.
Dass Bücher „die schönste und interessanteste Ware der Welt sind, von der Wissen, Aufklärung und Weltverständnis ebenso ausgehen wie Verzauberung und Verführung“ – als Bücherliebhaber liest man gern, was der Verleger Lothar Wekel auf der Website des Verlagshauses am Römerweg schreibt. Aber schauen wir doch mal genauer, welche interessanten Waren dieses Verlagshaus vertreibt!
Unter seinem Dach logiert die Edition Erdmann, in der seit sechzig Jahren die großen Namen der europäischen Reiseliteratur, von Wilhelm von Rubruk bis Alfred Wegener, immer wieder neu aufgelegt werden. In dieser illustren Sammlung darf auch Antonio Pigafettas „Augenzeugenbericht von der ersten Weltumsegelung“ nicht fehlen. Die nächste Neuauflage ist bereits angekündigt, in einer wohlfeilen Ausgabe: „Das Original im Paperback“.
Das Etikett „Original“ scheint hier vor allem der Herausgeber zu verdienen: ein gewisser Robert Grün aus Wien, der offenbar ein Freund origineller Arbeitsmethoden war. Grün publizierte 1968 eine deutsche Fassung von Pigafettas Bericht im damaligen Horst Erdmann Verlag. 1970 legte er eine deutsche Bearbeitung des Bordbuchs von Christoph Columbus nach und 1973, gemeinsam mit seiner Frau, ein Buch über „Die Eroberung von Peru: Die Augenzeugenberichte von Celso Gargia, Gaspar de Carvajal, Samuel Fritz“, alle im Erdmann Verlag.
Was für eine beachtliche Reihe einschlägiger Veröffentlichungen! – dachte sich wohl ein Rezensent im Spektrum der Wissenschaft und attestierte dem Publizistenpaar Grün noch 2015, „ausgewiesene Kenner auf dem Gebiet der Historischen Geographie und des Zeitalters der Entdeckungen“ gewesen zu sein. Völlig zu Recht, denn:
Solche Kenner der Materie waren die Grüns, dass sie in ihrem Werk über die Eroberung Perus sogar einen „Augenzeugen“ jener bald 500 Jahre zurückliegenden Ereignisse präsentieren konnten, den bis dahin außer ihnen niemand gekannt hatte, nämlich den Augustinermönch „Celso Gargia“. Dieser „Fray Gargia“ soll Pizarros auf dessen Zug nach Peru begleitet und einen Bericht hinterlassen haben über das, was er dort mit eigenen Augen sah. Gefunden hatten die Grüns ihren „Zeugen“, wie sie einleitend erklärten, im Wiener Völkerkundemuseum (heute Weltmuseum), in einer dort befindlichen „Handschrift von Simancas“, deren Signatur sie freilich vergaßen anzugeben. Und das hatte seinen guten Grund …
Wie unlängst in der FAZ aufgedeckt, existiert diese Handschrift ebenso wenig, wie es jemals einen Celso Gargia gab. Wohl lebte einst in Spanien ein Augustinermönch namens Celso García, der auch tatsächlich als Autor eines Buches über „Pizarro o Historia del descubrimiento del Perú“ firmiert. Aber dieser Celso Garcia kam nicht im 15. oder 16. Jahrhundert, sondern 1884 zur Welt, und sein Buch erschien zuerst 1923 und trug den Untertitel „relatada a los niños“ – „erzählt für Kinder“.
Was die Grüns in ihrem Werk über „Die Eroberung Perus“ erzählten, war jedoch kein Kindermärchen, sondern eine Geschichte voller Blut, Fanatismus und Grausamkeit, die sie wohl im wesentlichen – so die Autoren des FAZ-Artikels – von dem amerikanischen Historiker William H. Prescott abgekupfert hatten. Dessen ursprünglich 1847 publizierte „History of the Conquest of Peru“ war kurz darauf auch auf Deutsch erschienen und 1937 in Wien neu aufgelegt worden. Das Ehepaar Grün tat nicht viel mehr, als Prescotts historische Erzählung in die erste Person umzuformulieren – fertig war der „Augenzeugenbericht“ des 16. Jahrhunderts, der in dieser Form sogar Eingang in deutsche und österreichische Schulbücher für Gymnasien fand.
Einschlägige vorstrafen
Der promovierte Altphilologe Robert Grün hatte offenbar bereits Anfang der 1930er Jahre, während seines Studiums an der Universität Wien, ein „entspanntes Verhältnis zur Wahrheit“ bewiesen, indem er die Unterschrift eines Professors fälschte und dafür eine Verwarnung und die Nicht-Anrechnung eines Semesters kassierte. Sein Titel wurde dem Herrn Doktor 1958 aberkannt, nachdem ihn das Landesgericht Linz wegen Veruntreuung von Verlagshonoraren zu einem Jahr „schwerer Kerkerstrafe“ verurteilt hatte, heißt es in dem FAZ-Artikel.
Nach dieser Lektüre war ich nun doch neugierig geworden, und so habe ich die Grün’sche Pigafetta-Ausgabe in der Edition Erdmann einer genaueren Prüfung unterzogen. (Dass ihr Text an vielen Stellen vom Original abweicht, war mir schon früher aufgefallen und der Grund, warum ich eine neue, authentische Übersetzung von Pigafettas Bericht anfertigte, die 2020 in der wbg erschienen ist.)
Koelliker hatte Pigafettas Bericht (in der 1801 bei Julius Perthes erschienen Übersetzung von Amorettis Edition) mit anderen historischen Quellen montiert. Sein Buch ist eine Art Quellen-Collage, die sich zu einer umfassenden Darstellung von Magellans geschichtsträchtiger Reise aufsummiert. Um ein Beispiel zu geben:
In Pigafettas Schilderung der Schlacht von Mactan am 21. März 1521, die Magellan das Leben kostete, schob Koelliker einen Abschnitt aus dem Brief des Maximilianus Transylvanus „Über die molukkischen Inseln“ ein, der Magellan folgende Ansprache in den Mund legte:
„Lasset euch nicht einschüchtern, meine Brüder, von der Ueberzahl dieser Indier, unserer Feinde! Gott wird mit uns sein! Erinnert euch, dass vor kurzem der Kapitän Fernando Cortes in Yukatan mit 200 Spaniern 200.000 und 300.000 Indianer besiegte.“ (Koellikers Übersetzung)
Was allerdings Unsinn ist, denn die Nachricht von Cortés’ Umtrieben in Yucatán (bzw. Tabasco, denn gemeint ist wohl die Schlacht von Centla) gelangte erst im November 1519 nach Europa, zwei Monate nach Magellans Abreise von Kastilien, sodass dieser davon gar nichts wissen konnte. Aber egal. Transylvanus schrieb es, und Koelliker zitierte ihn. Zitierte ihn wohlgemerkt, wie es sich gehört, mit Angabe seiner Quelle. Grün wiederum übernahm das Zitat, aber ohne es als solches kenntlich zu machen. Bei ihm wirkt es, als hätte Pigafetta selbst die vermeintliche Rede Magellans berichtet. Und so ging Grün an vielen Stellen vor: Er übernahm Koellikers Einschübe in Pigafettas Text, aber anders als Koelliker kennzeichnete er sie nicht als Einschübe, sodass ein unbedarfter Leser nun für Pigafettas eigene Worte halten muss, was eigentlich aus anderer Quelle stammt.
Zwar wies Grün in einer „Anmerkung zur Edition“ darauf hin, am Text „geringfügige Veränderungen oder sogar Einfügungen“ vorgenommen zu haben, „die dem Brief des Maximilianus Transilvanus oder den Werken zeitgenössischer Historiker entstammen“. Aber er verschwieg, dass er diese Einfügungen nahezu wörtlich von Koelliker übernommen hatte und nannte weder dessen Namen noch dessen Buch. Auch verriet Grün nicht, dass er überdies noch weitere Passagen in Pigafettas Bericht eingefügt hatte, die weder bei Koelliker noch sonstwo dokumentiert sind, sondern gänzlich seiner eigenen Fantasie entsprungen waren.
Sex & Crime
In welchen Sphären sich die Fantasie des Ex-Doktors bewegte, lässt sich jenen Stellen seiner Pigafetta-Edition entnehmen, die sich nur dort und sonst nirgends in der Literatur finden. Da wird von Streit- und Mordfällen fabuliert, von sexuellen und kannibalistischen Gelüsten, verurteilten Ehebrechern, Meuterei-Komplotten, Schlangenbissen und dergleichen Dingen mehr – reinste Pulp Fiction, mit der Grün wohl Pigafettas Text aufpeppen wollte. Eine dieser Szenen gebe ich hier wieder. Sie soll sich während der monatelangen Fahrt über den Pazifik abgespielt haben, während derer die Besatzungen der Schiffe großen Hunger litten:
„Ich sah einen, der mit von Gier erfüllten Augen auf einen soeben verstorbenen Spanier starrte und dabei den Unterkiefer mahlend hin und her bewegte, und ich gab mich keinem Zweifel hin, daß dieser Seemann überlegte, welches Stück er aus dem Toten schneiden könnte, um es roh hinunterzuschlingen.“
Wie war das noch? Wissen, Aufklärung, Weltverständnis, Verzauberung und Verführung …
Bevor Sie nun der Verführung erliegen und sich – in der Hoffnung auf Wissen und Aufklärung – überlegen, Pigafettas schönen und interessanten Bericht von der ersten Erdumsegelung in der Edition von Robert Grün zu lesen: Vom allzu gierigen Verschlingen dieses Buchs sei abgeraten. Sie sollten es zuerst gründlich filetieren und unbedingt cum grano salis zu sich nehmen.
Wer schützt uns gegen Klimaterroristen,
vor Genderwahn und Ökodiktatur?
Wer kümmert sich um eigne Leute nur?
Das schaffen ganz allein die Populisten.
Und wehe, einer sagt, sie wär’n Faschisten!
Denn kommst du ihnen auf die linke Tour,
Dann schalten sie sekundenschnell auf stur
Und setzen dich auf ihre schwarzen Listen.
Sie finden, Fremde hätten zu viel Rechte
Und Grenzen wär’n mit Stacheldraht zu stählen.
In Putin sehen sie nicht nur das Schlechte
Und Russland kann auf ihre Freundschaft zählen.
Den Frieden stören bloß die Nato-Mächte.
Da muss man eben Populisten wählen.
Erinnert sich noch jemand an die Dot
com-Blase, jene große Hysterie?
Inzwischen heißt das Zauberwort KI
Und Algorithmus ist der neue Gott.
Was Menschen denken, gilt doch längst als Schrott
Verglichen mit der Rechner Fantasie;
Es komponiert die schönste Melodie
Und schreibt die feinste Lyrik uns ein Bot.
Bedauerlich ist dieser Trend mitnichten.
Wie viele Stunden hab ich schon verschwendet
Mit Reime-Finden und Sonette-Dichten!
Doch diese Mühsal ist nun bald beendet
Und dank KI kann ich mein Sinnen richten
Ganz auf die Dinge, die das Fernsehn sendet.
Im schönen Bundesland Niederösterreich, das seit fast 18 Jahren meine Wahlheimat ist, in der ich als Ausländer aber nicht wählen darf, gibt es sehr tiefe Gräben. Den Ötschergraben zum Beispiel, eine tief eingeschnittene Felsschlucht von ehrfurchtgebietenden Dimensionen, die den internationalen Vergleich nicht scheuen muss. Aber der Ötschergraben ist nicht annähernd so tief wie die Klüfte, die sich durch die politische Landschaft Niederösterreichs ziehen und die politischen Lager des Landes voneinander trennen.
Nachdem die hierzulande seit 1945 regierende Volkspartei bei den Wahlen im Jänner 2023 ihre absolute Mehrheit verloren hatte, gelobte sie, „die Gräben zu schließen“. Die Gräben zu den Sozialdemokraten erwiesen sich jedoch schnell als unüberbrückbar, was nicht überraschte, hatte die Landeshauptfrau doch bereits vor Jahren erkannt: „Rote bleiben Gsindl“ . Was blieb ihr also anderes übrig, als den bodenlosen Schrund am äußersten rechten Rand der politischen Landschaft zuzuschütten und eine Landbrücke zur FPÖ zu schaffen, die aus den Jännerwahlen als triumphale Siegerin hervorgegangen war.
Um einen solchen Abgrund auszufüllen, müssen freilich unvorstellbare Mengen an Morast und Schotter bewegt werden, wie das „Arbeitsübereinkommen“ der beiden Parteien illustriert:
So wird ein 30 Millionen Euro schwerer Fonds die „Schäden“, die durch die „Corona-Maßnahmen“ entstanden seien, „wieder gut machen“.
Auf den Pausenhöfen der Schulen wird künftig die Verwendung der deutschen Sprache „forciert“.
Dafür dürfen Wirtshäuser, die „ein traditionelles und regionales Speiseangebot“ aufweisen, mit Prämien rechnen.
Wohl um den Arbeitsmarkt von Teilzeit arbeitenden Müttern zu entlasten, wird „die Kinderbetreuung im Familienverband“ eine „finanzielle Aufwertung“ erfahren.
Dagegen soll das Land „für die überwiegend wirtschaftlich motivierten Zuwanderer möglichst unattraktiv“ gemacht werden.
Für Autofahrer wiederum dürfte Niederösterreich noch attraktiver werden als bisher. Die Übereingekommenen bekennen sich nämlich zu „flüssigem“ Individualverkehr, Straßenbau und natürlich zur Krone der technologischen Schöpfung: dem Verbrennungsmotor.
Der Individualverkehr sei „in Zukunft zu erhöhen“ und „vor mutwilligen Störungen zu schützen“. Daher wird „ein entschlossenes und rechtlich effektiveresVorgehen gegen sogenannte ‚Klimakleber'“ für notwendig erachtet.
Freilich muss der immense Aushub an fossilem Gedankengut, mit dem der große Graben am rechten Rand der politischen Landschaft gefüllt werden soll, irgendwoher kommen, und so wird das Schließen des einen Grabens wohl andere Klüftungen vertiefen: zu denjenigen „Landsleuten“ nämlich, die sich ihre Zukunft nicht als Rückwärtsfahrt mit Vollgas in eine märchenhafte Vergangenheit vorstellen.
Schon werden die Böden hierzulande rissig von wochenlanger Trockenheit. Mit dem Klimawandel hat das aber bestimmt nichts zu tun. Ich glaube eher an einen Schadenszauber durch überwiegend wirtschaftlich motivierte Zuwanderer. Vielleicht sollte man zu dessen Abwehr ein paar Fremde lebendig begraben, wie es schon bei den alten Germanen gepflegter Brauch gewesen sein soll …
Es ist nicht die Art Literatur, die ich normalerweise lese: ausgedachte Geschichten, zudem noch kurze. Aber ein alter Freund hat sie geschrieben, und darum habe ich sie zur Hand genommen. Dass ich mich hier darüber äußere, ist allerdings kein Freundschaftsdienst. Das möchte ich gern vorausschicken. Sondern weil mir die Geschichten gefallen, die Florian Schneider erzählt.
Sie handeln von scheinbar alltäglichen Begebenheiten – nichts Weltbewegendem, könnte man sagen, dabei erzählen sie doch von dem, was die kleine Welt bewegt, in der eine jede und ein jeder von uns lebt: von Erinnerungen, Träumen, vor allem aber von den Beziehungen zu denen, die uns am nächsten sind, seien es Partner, Kinder oder auch Tiere.
Da sitzt ein Mann frühmorgens in einem Hotelzimmer und sieht sich auf einem Tablet Bilder an, Bilder von einem aggressiven Hirntumor. Sein Blick, das erfährt man bald, ist der des Fachmanns. Nachdem er genug gesehen hat, tippt er in das Bildschirmgerät den Satz: „Lasst es den Chirurgen machen.“ Eine lapidare Anweisung in einer Sache auf Leben und Tod, gerichtet an die Mitarbeiter in seiner Klinik, denen er offenbar nicht zutraut, was er selber in diesem Fall tun würde, wenn er vor Ort wäre: den Tumor „minimalinvasiv“ entfernen.
Denn der Mann am Tablet, so erfahren wir, ist ein Pionier minimalinvasiver Schädel-OPs, eine Koryphäe seines Faches. Aber er ist nicht vor Ort, sondern in einem Hotelzimmer auf Mauritius, mit seiner neuen, mutmaßlich jüngeren Frau, für die er mit Mitte fünfzig seine Familie verlassen und die sich die Insel im Indischen Ozean zum Ziel ihrer Hochzeitsreise erwählt hat, weil diese „so weit weg“ ist, „dass du es niemals in die Klinik schaffst“.
In einer anderen Geschichte blickt eine Frau aus dem Fenster ihres Schlafzimmer auf die Felder, die einmal ihrer Familie gehört haben. Es ist September, es ist extrem heiß, und der Mais auf den Feldern, nichts als Mais, bis zum Horizont, wird geerntet: „Sie sind mit zwei Maschinen gekommen und sie arbeiten gegenläufig, Reihe um Reihe. Sie reißen die Stängel aus der Erde, als wären es Grasbüschel und oben aus den Rohren schießt der Häcksel in die Anhänger wie der Strahl von Erbrochenem.“
Später, am Abend, wird die Frau gierig die Flasche Wein aus dem Kühlschrank an die Lippen setzen und, weil sie nicht schlafen kann, noch auf einen Absacker zu Don Alfonso in die Dorfkneipe gehen. Dort war sie früher oft mit ihrem Mann, der sich zu Tode gesoffen hat, und dort wird sie heute Abend auf die Fahrer der Mähdrescher treffen, Saisonarbeiter aus Osteuropa, die hier fremd sind wie sie, die Eingeborene …
Auf jeweils drei, vier, fünf Seiten gelingt es Florian Schneider mit seinen literarischen Momentaufnahmen, das Leben eines Menschen oder eines Paares einzufangen in seinem Beziehungsreichtum und seiner Brüchigkeit. Dass dabei vieles nur angedeutet wird und noch mehr ungesagt bleibt, der Fantasie des Lesers überlassen, ist alles andere als ein Manko. Die losen Enden machen – zusammen mit der akkuraten, niemals auftrumpfenden Sprache für mich den Reiz der Lektüre aus.
Es gibt auch ein paar längere Geschichten, wie die von den beiden jungen Leuten, Kollegin und Kollege in einer Berliner Werbe-Agentur, die eine romantische Beziehung eingehen. Aber mir gefallen die kurzen, die irgendwo einsetzen und ihre Story nicht bis zum Ende auserzählen, am besten. Ihnen allen wohnt eine Spannung inne, die mich von den ersten Zeilen an, wofern nicht um das Leben, so doch um die Seele der Protagonisten hat bangen lassen.
Dass Holz sich gut als Brennstoff eignet, hat
Sich unter Eigenheimbesitzern bald
Herumgesprochen; wacker in den Wald
Ziehn sie mit ihren Pick-Ups aus der Stadt.
Mit Spaltaxt, Kettenöl und Sägeblatt
Bewaffnet, kennt ihr Wüten keinen Halt.
Weil ihre Badezimmer niemals kalt
Sein sollen, machen sie die Wälder platt.
Akazien, Buchen, Fichten, Eschen, Eichen:
Im Zweitakt-Dunst gehn splitternd sie zu Boden.
Sie müssen vor der Kettensäge weichen
Und bleiben leblos liegen auf den Soden.
Klingt Sägelärm vom Forste, ist’s ein Zeichen,
Dass Ofen-Eigner uns’re Wälder roden.