Nachdem der alte Tanker „Wissenschaftliche Buchgesellschaft“ im Herbst 2023 an den Klippen der Digitalisierung zerschellt war, drohte auch der Sobresaliente und Gentleman-Passagier Antonio Pigafetta im Strudel der Insolvenz unterzugehen. Was sehr schade gewesen wäre, hat der wackere Globetrotter doch eine Geschichte zu erzählen, die auch nach 500 Jahren nichts von ihrer Frische eingebüßt hat: seinen Bericht von der ersten Umsegelung der Erde 1519-1522.
Doch für alle Pigafetta-Fans und solche, die es noch werden wollen, gibt es gute Nachrichten: Wir konnten für Pigafetta eine neue Passage finden! Der Weltenbummler ist jetzt beim Verlag C.H. Beck an Bord gegangen, der seinen Bericht im Frühjahr 2025 wieder auf die Reise schicken wird. Das freut uns sehr, nicht zuletzt auch deshalb, weil dies die einzige vollständige und authentische deutsche Übersetzung von Pigafettas Reisebericht ist.
Dass die Pigafetta-Ausgabe der Edition Erdmann den Text mutwillig verfälscht, hat sich anscheinend nicht überall herumgesprochen. So bringt das Magazin REPORTAGEN vom Mai 2024 einen als „historische Reportage“ deklarierten Auszug aus der Erdmann-Ausgabe. Da liest man dann wieder Unsinn wie den, dass Magellan seine Truppen vor dem tödlichen Scharmützel auf Mactan mit dem Hinweis auf die kriegerischen Erfolge des Hernán Cortés in Yucatán angefeuert habe – von denen Magellan jedoch weder wusste noch wissen konnte.
Angeblich bringt dieses Magazin „True Stories“ unter die Leute. Die folgenden Behauptungen seiner Redaktion sind jedenfalls nicht in allen Teilen wahr: Magellan sei „1521 auf einen Archipel“ gestoßen: „die Philippinen – so von Magellan nach seinem Financier, dem spanischen König Philipp, benannt“ … Tatsächlich hießen Magellans Geldgeber Karl I. und Cristóbal de Haro, und die Inselgruppe, auf die er am 16. März 1521 stieß, nannte er „Archipel des Heiligen Lazarus“. Ihren Namen „Philippinen“ gab den Inseln gut zwanzig Jahre später Ruy López de Villalobos zu Ehren des damaligen Kronprinzen von Spanien, Philipp II.
Wer glaubt, dass historische Fakten von Bedeutung sind, wird sich daher mit uns freuen, dass Pigafettas Bericht bald wieder in einer wahrhaftigen Übersetzung erhältlich ist. Gut lesen lässt sich diese Übersetzung übrigens auch: Das bezeugen nicht nur viele zufriedene Leser:innen, sondern auch Radio- und Fernsehproduktionen, die sie verwenden.
Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass eines meiner Bücher noch zu meinen Lebzeiten als Rarität und Sammlerstück gehandelt wird …
Wie berichtet, ist meine Pigafetta-Übersetzung seit kurzem vergriffen und eine Neuauflage nicht in Sicht, weil ich für diesen wunderbaren Reisebericht aus der Frühen Neuzeit nach der Insolvenz der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erst wieder einen Verlag finden muss. Das werde ich hoffentlich rasch, denn aktuell wird im antiquarischen Handel nur mehr ein einziges Exemplar meiner Übersetzung für sage und schreibe 169,99 Euro angeboten.
Man könnte meinen, der Preis sei nicht übertrieben, handelt es sich doch um die bislang einzige Übersetzung aus erster Hand ins Deutsche[1] und um die einzige, die nicht nur den vollständigen Text, sondern auch die 23 farbigen Miniaturen bietet, die der Autor dem Text mitgegeben hat.
Allerdings hätte es Pigafettas Bericht verdient, für ein größeres Publikum erschwinglich zu sein. Daher hoffe ich sehr, dass sich bald ein Verlag für eine Neuausgabe findet – Interessenten bitte melden!
Eigentlich hätte ich mich freuen können: In der vergangenen Woche standen zwei meiner Bücher bei Amazon auf der Bestseller-Liste. Vor allem meine Pigafetta-Übersetzung war einmal mehr stark nachgefragt, was mit der vierteiligen Magellan-Doku zusammenhängen dürfte, die derzeit auf Arte läuft. Die Doku ist mit langen Passagen aus Pigafettas Reisebericht unterlegt, und für die deutsche Synchronfassung haben sich die Produzenten meiner Edition bedient.
Ein Anlass zur Freude für den Autor und Übersetzer, sollte man meinen. Bloß ist meine Übersetzung leider in der „wbg“ erschienen. Hinter dem Kürzel steht die „Wissenschaftliche Buchgesellschaft“, die eigentlich dieser Tage ihr 75jähriges Bestehen feiern wollte. Doch stattdessen musste die „wbg“ zum 1. Januar Insolvenz anmelden, nachdem sie bereits im Oktober wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.
Inzwischen steht fest, dass die „wbg“ abgewickelt wird – ein harter Schlag für die deutsche Wissenschaftskultur wie auch für die 65 Mitarbeiter der wbg, von denen die meisten wohl nicht persönlich für die Pleite verantwortlich sind. Ein harter Schlag aber auch für einen, der als freier Autor vom Verkauf seiner Texte und Bücher lebt. Ist doch mehr als fraglich, ob ich von den Honoraren, die mir die „wbg“ seit Mitte 2022 schuldig ist, auch nur einen Teil bekommen werde.
Schmerzlicher finde ich jedoch, dass die Nutzungsrechte an meiner Pigafetta-Übersetzung beim insolventen Verlag verbleiben, das heißt bei der Insolvenzverwalterin, die anscheinend versucht, die Rechte zu veräußern, um noch etwas Geld für die Gläubiger herauszuschinden – wie altes Büromobiliar, das bei einer Zwangsversteigerung verhökert wird. Dass ich von dem Erlös wohl keinen Cent sehen werde, ist noch das kleinere Übel. Ärger ist, dass ich keinen Einfluss darauf habe, in wessen Hände die Nutzungsrechte an meinem Werk geraten werden. Vor allem aber ist völlig offen, wann die Übersetzung wieder lieferbar sein wird.
Dies ist umso beklagenswerter, als es sich hierbei um die erste handelt, die Pigafettas Text direkt aus der Originalsprache und vollständig ins Deutsche überträgt: die erste seit ziemlich genau 500 Jahren, seit Pigafetta seinen Bericht abgefasst hat. Alle bisherigen deutschen Ausgaben waren Übertragungen aus zweiter oder dritter Hand; zwei sind sogar Plagiate, und die von Robert Grün in der Edition Erdmann ist teils eine bewusste Fälschung. Das habe ich jüngst in einem Beitrag für das „Archiv für Kulturgeschichte“ nachgewiesen. (S.a. hier: So grün, wenn Spaniens Blüten.)
Umso mehr hoffe ich, dass die Nutzungsrechte an meiner Pigafetta- Übersetzung an jemanden geraten, die (oder der) den Wert dieses großartigen Textes zu schätzen weiß und ihn dem deutschsprachigen Publikum bald wieder verfügbar macht!
Update vom 20. März 2024:
Die Insolvenzverwalterin hat mittlerweile erklärt, den Verlagsvertrag, den ich mit der wbg über die Veröffentlichung der Pigafetta-Übersetzung geschlossen hatte, gemäß §103 InsO nicht erfüllen zu wollen.
Damit sind die Nutzungsrechte an mich als Urheber zurückgefallen, und ich kann selbst entscheiden, an wen ich die Rechte zur Neuveröffentlichung vergebe.
Zugegeben, es ist keine weltbewegende Frage, aber ich interessiere mich nun mal für die Menschen, deren Bücher ich lese, und noch mehr, wenn ihre Biographien vom Schleier des Rätselhaften umgeben sind. So habe ich mich schon oft gefragt, wer eigentlich Oscar Koelliker war. Koelliker hat vor mehr als hundert Jahren ein dickes Buch veröffentlicht: „Die erste Umseglung der Erde durch Fernando de Magallanes und Juan Sebastian del Cano 1519-22 dargestellt nach den Quellen“ (Piper Verlag, München 1908). Dieses Werk aufzuschlagen, lohnt noch immer, nicht nur weil es prächtig ausgestattet ist mit Karten und Bildern, sondern auch weil es viele historische Quellen zu Magellans Expedition in deutscher Übersetzung bietet.
Man möchte daher meinen, der Verfasser sei Geograph oder Historiker von Beruf gewesen. Das ist jedoch kaum wahrscheinlich …
Denn wäre Oscar Koelliker berufsmäßiger Wissenschaftler gewesen, hätte er wohl mehr einschlägige Publikationen hinterlassen als dieses eine Buch. Nur ein weiteres Mal noch tritt er kurz in Erscheinung als Mitarbeiter von „Petermanns Geographischen Mitteilungen“. Für den 58. Band dieser traditionsreichen Zeitschrift trug er 1912 zwei Rezensionen und eine Miszelle bei, die alle um dasselbe Thema kreisen wie das Buch: die Erdumsegelung Magellans und Elcanos. Im Mitarbeiterverzeichnis von Petermanns Mitteilungen ist der Autor als „Koelliker, Oskar [sic!], Thalwil-Zürich“ aufgeführt, ohne akademischen Titel oder Berufsbezeichnung.
Oscar bzw. Oskar Koelliker scheint also ein echter „homo unius libri“ gewesen zu sein: ein Mann, der nicht mehr (aber auch nicht weniger) als ein Buch geschrieben hat. In dessen Vorwort steht denn auch alles, was wir sicher über ihn wissen: dass der Verfasser im Frühjahr 1908 in Thalwil bei Zürich lebte (oder weilte) und dass er sich viele Jahre „in Spanien, Portugal, Italien, Nord- und Südamerika“ aufgehalten hatte, „wo sich“ ihm, wie er schrieb, „die Gelegenheit bot, die einschlägige Literatur“ zur Magellan-Expedition „in den Urtexten zu studieren und zu sammeln“. Das war‘s.
Thalwil (früher auch Thalweil geschrieben) liegt am linken Ufer des Zürichsees. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich das Bauerndorf in eine boomende Kleinstadt verwandelt. Bevölkerung und Wohlstand wuchsen rasant, vor allem dank einer florierenden Textilindustrie und einer Bahnlinie in die nur wenige Kilometer entfernte Kantonshauptstadt.
Der Nachname „Kölliker“ war hier seit alters geläufig, die Kombination mit dem Vornamen „Oscar“ jedoch eher selten. Und noch seltener, wenn der Träger 1908 alt genug gewesen sein soll, um dicke Bücher zu schreiben. Einen Kandidaten, der diese Voraussetzung erfüllt, hat Karl-Heinz Wionzek dingfest gemacht[1]: einen 1868 in Horgen bei Zürich geborenen Künstler, der Ende des 19. Jahrhunderts nach St. Petersburg auswanderte und sich 1907 in Frankreich niederließ, zunächst in Asnières (sur-Seine) und ab 1914 in Paris. Er ist in J.P. Zwickys „Genealogie der Familien Kölliker“[2] (unter Nr. 185) als „Oskar Kölliker … Bürger von Thalwil“ aufgeführt und in Thieme-Beckers „Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler“[3] als „Oscar Koelliker“, hier allerdings mit Geburtsort Neuchâtel.
Der Maler Oscar Koelliker/Oskar Kölliker nahm seinerzeit an großen Ausstellungen teil, so etwa 1907, 1910 und 1912 in den Salons der Société des Artistes Indépendants, der Société des Artistes Français 1908 und 1914 sowie in weiteren, in Frankreich und der Schweiz. Am 9. September 1941 vermeldeten die „Nouvelles de Versailles“ sein Ableben im Alter von 72 Jahren[4]. Im Internet findet man einige seiner Werke, durchweg kleinformatige Landschaften in Öl, im Stil des Impressionismus, die offenbar auch heute noch ihre Käufer finden.
Doch wie wahrscheinlich ist, dass ein Künstler, der 1907 und 1908 in Pariser Salons ausstellte, und der Verfasser eines geographisch-historischen Sachbuchs, das 1908 in München erschien, identisch sind? Wenn sie es wären: Warum findet sich dann im Buch keinerlei Verweis auf die künstlerische Tätigkeit des Autors? Müssten nicht stilistische Bezüge zwischen Buch und Malerei erkennbar sein? Warum unterschreibt Kölliker das Vorwort seines Buches mit „Thalwil-Zürich, im Frühjahr 1908“, wenn er zu diesem Zeitpunkt in Asnières lebte und nicht einmal in Thalwil geboren war? Warum findet sich auch im Mitarbeiterverzeichnis von Petermanns Geographischen Mitteilungen wieder nur die Angabe „Thalwil-Zürich“? Wie wahrscheinlich ist zuletzt, dass ein Maler ausgerechnet zu derselben Zeit, da er seinen künstlerischen Durchbruch feiert, eine nicht minder beachtliche Fleißarbeit auf dem Gebiet der Geographiegeschichte abliefert?
In einer Rezension des Buches, die im Dezember 1908 in der Neuen Zürcher Zeitung erschien, wird der Verfasser jedenfalls nur „Zürcher aus Thalwil“ und „unser Landsmann“ genannt. Von seiner künstlerischen Karriere in Frankreich wusste der Rezensent nichts zu berichten …
J.P. Zwickys „Genealogie der Familien Kölliker“ verzeichnet (unter Nr. 253) einen „Johann Oscar Kölliker“, der gleichfalls Bürger von Thalwil und dort auch wohnhaft war: „im Freihof, am See“. Dieser Johann Oscar Kölliker lebte von 1866 bis 1916 und war von Beruf Kaufmann. 1895 heiratete er Anna Huber aus Hirzel, mit der er zwei Töchter hatte. Neben seinem kaufmännischen Beruf betätigte er sich auch als Politiker, und er ließ sich offenbar mit seinem zweiten Vornamen anreden, denn von 1911 bis 1915 war ein „Oskar Kölliker“ aus Thalwil, geboren 1866 und verheiratet mit einer Huber, Mitglied des Zürcher Kantonsrats. Den Protokollen dieser Körperschaft ist auch zu entnehmen, welche Art von Handelsgeschäft Oskar Kölliker betrieb, nämlich eine „Weinhandlung“.
Überhaupt scheint Oskar Kölliker dem Feierlich-Musischen alles andere als abhold gewesen zu sein: ob Thalweil-Festspiel, Turn- oder Seesängerfest – der Weinhändler war stets vorne mit dabei, verkaufte Eintrittskarten, präsidierte in Organisationskomitees, hielt Reden, überreichte Fahnen und Lorbeerkränze, und als bei der „Schlußsitzung der Komitees für das kantonale Turnfest“ im Restaurant „Concorda“ noch „ein kleinerer Ueberschuß an Ehrenwein vorrätig war, entwickelte sich unter dem Vorsitze … des Präsidenten des Wirtschaftskomitees Herrn O. Kölliker noch einmal ein schönes Festleben, während dessen man sich der schönen Stunden des Turnfestes fröhlich erinnerte“. Bei all den Festivitäten vernachlässigte Oskar Kölliker offenbar weder seine bürgerlichen Pflichten – 1905 saß er in Winterthur, 1906 im benachbarten Pfäffikon als Geschworener im Gerichtssaal – noch seine Geschäfte. 1905 erschien im Zürcher Satireblatt „Nebelspalter“ zweimal folgende Anzeige:
Demnach importierte die Weinhandlung Kölliker direkt aus den Erzeugerländern, darunter aus Spanien (Malaga, Sherry), Portugal (Port, Madeira), Italien (Marsala) und Frankreich (Bordeaux). In welchen Sprachen wohl die Geschäftskorrespondenz geführt wurde? Halten wir einstweilen fest, dass Oskar Köllikers Geschäftspartner dieselben Sprachen sprachen, in denen auch die „Urtexte“ und „einschlägige Literatur“ zur Magellan-Expedition verfasst waren, welche ja die Grundlage für Oscar Koellikers Buch von 1908 bildeten.
Dass Oskar Kölliker, der Weinhändler, in seiner Jugend eine gründliche Ausbildung in modernen Fremdsprachen erhalten haben dürfte, darauf deutet eine andere Anzeige hin, die im April 1884 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ geschaltet wurde:
Zum oder im „Freihof“ war der Wohnsitz Oskar Köllikers, der im April 1884 seinen 18. Geburtstag feierte. Sein Vater Johannes (1820-1891) war gleichfalls Kaufmann[5], handelte unter anderem in größerem Stil mit Kartoffeln[6]. Natürlich könnte Johannes Kölliker die Vermittlung von Schülern an das „Knabeninstitut Schmutz-Rolland“ am Genfer See einfach so als Nebengeschäft betrieben haben. Aber ist es nicht wahrscheinlicher, dass er auch seinen (einzigen) Sohn zur Ausbildung in dasselbe Institut gab, für das er als Vermittler tätig war? Zumal ja dessen Lehrangebot – „Hauptstudium: Französisch, Italienisch, Englisch und kaufmännische Fächer“ – perfekt auf das Anforderungsprofil eines zukünftigen Weinimporteurs zugeschnitten war.
Ob nun Absolvent des Instituts Schmutz-Moccand oder nicht – jedenfalls dürfte Oskar Kölliker, der Weinhändler, seine schulische Ausbildung Mitte der 1880er Jahre beendet haben. Demnach wäre ihm bis zu seiner Heirat mit Anna Huber im Dezember 1895 reichlich Zeit geblieben für jene langjährigen Aufenthalte „in Spanien, Portugal, Italien, Nord- und Südamerika“, von denen Oscar Koelliker, der Buchautor, im Vorwort schreibt. Und für einen angehenden Weinimporteur wäre es ja auch naheliegend gewesen, Reisen in Wein produzierende Länder zu unternehmen – um Sprach- und Fachkenntnisse zu vertiefen und um Geschäftskontakte zu knüpfen.
Weinhändler, Bieraktionär, Immobilienbesitzer, Gemeinde- und Kantonsrat, Schöffe, Organisator von Festspielen, Turn- und Seesängerfesten … Oskar Kölliker aus Thalwil war offenbar ein vielseitiger Mensch und ein rechter Gschaftlhuber, dem man auch zutrauen würde, dass er ein Buch wie „ Die erste Umseglung der Erde durch Fernando de Magallanes und Juan Sebastian del Cano 1519-22“ publiziert hat. Kölliker müsste das Buch nicht einmal selbst geschrieben, er könnte auch einen Ghostwriter beauftragt haben. Allerdings sind ihm als Weinimporteur die nötigen Sprachkenntnisse ohne weiteres zuzutrauen, wie er auch die im Vorwort erwähnten Reisen unternommen haben könnte; zugleich verfügte er als wohlhabender Kaufmann anscheinend über die nötige Muße, um sich neben seinen Geschäften auch anderen Dingen zu widmen. Somit besteht kein Anlass, dem umtriebigen Weinhändler Oskar Kölliker die Autorschaft des Buches abzusprechen.
Auch sein frühes Ableben – Kölliker starb 1916 gerade 50jährig[7] – widerspricht dieser Hypothese nicht, datieren seine beiden einzigen Publikationen über Magellan doch von 1908 und 1912. Danach hat man nichts mehr von Oscar Koelliker, dem Buchautor, gehört.
[1]Karl-Heinz Wionzek (Hrsg.), Another Report about Magellan’s Circumnavigation of the World. The Compilation by Fernando Oliveira. Revised and Expanded Edition, Manila 2021, S. 20 Anm. 18.
Unlängst habe ich mich an dieser Stelle über den literarischen Fälscher Robert Grün ausgelassen, Schöpfer des Mönches „Celso Gargia“, der Pizarro bei der Eroberung von Perú begleitet und darüber ein Tagebuch hinterlassen haben soll. Dass Mönch und Tagebuch bloß Ausgeburten von Grüns Fantasie waren, ist 50 Jahre lang niemandem aufgefallen – auch nicht den Redakteurinnen und Redakteuren namhafter Schulbücher, die bis heute aus dem vermeintlich „zeitgenössischen Bericht“ zitieren.
Diese Geschichte ist inzwischen auch in der „Furche“ nachzulesen (leider nur für Abonnentinnen und Abonnenten; ein zweiwöchiges Probeabo ist jedoch gratis).
Bevor Robert Grün 1973 seinen „Celso Gargia“ erfand, hatte er 1968 eine Übersetzung von Antonio Pigafettas Reisebericht von der ersten Schiffsreise um die Erde herausgegeben. Grüns Pigafetta-Ausgabe wird immer wieder neu aufgelegt (die nächste Auflage ist für November 2023 angekündigt), obwohl sie einerseits ein dreistes Plagiat ist, andererseits eine Fälschung.
Plagiat, weil Grün großteils das Werk eines Schweizer Autors kopierte, ohne diesen zu nennen, nämlich Oscar Koellikers „Die erste Umseglung der Erde durch Fernando de Magallanes und Juan Sebastian del Cano 1519-22“.
Fälschung, weil Grün dem Bericht Pigafettas allerhand hinzudichtete, was seiner Fantasie entsprungen war: Geschichten von Sex & Crime, Mord und Totschlag, tödlichen Schlangenbissen, Kannibalismus u. dgl. m.
Belege für Plagiat und Fälschung habe ich in folgenden Dokumenten zusammengestellt (pdf_s zum Download):
Dass Bücher „die schönste und interessanteste Ware der Welt sind, von der Wissen, Aufklärung und Weltverständnis ebenso ausgehen wie Verzauberung und Verführung“ – als Bücherliebhaber liest man gern, was der Verleger Lothar Wekel auf der Website des Verlagshauses am Römerweg schreibt. Aber schauen wir doch mal genauer, welche interessanten Waren dieses Verlagshaus vertreibt!
Unter seinem Dach logiert die Edition Erdmann, in der seit sechzig Jahren die großen Namen der europäischen Reiseliteratur, von Wilhelm von Rubruk bis Alfred Wegener, immer wieder neu aufgelegt werden. In dieser illustren Sammlung darf auch Antonio Pigafettas „Augenzeugenbericht von der ersten Weltumsegelung“ nicht fehlen. Die nächste Neuauflage ist bereits angekündigt, in einer wohlfeilen Ausgabe: „Das Original im Paperback“.
Das Etikett „Original“ scheint hier vor allem der Herausgeber zu verdienen: ein gewisser Robert Grün aus Wien, der offenbar ein Freund origineller Arbeitsmethoden war. Grün publizierte 1968 eine deutsche Fassung von Pigafettas Bericht im damaligen Horst Erdmann Verlag. 1970 legte er eine deutsche Bearbeitung des Bordbuchs von Christoph Columbus nach und 1973, gemeinsam mit seiner Frau, ein Buch über „Die Eroberung von Peru: Die Augenzeugenberichte von Celso Gargia, Gaspar de Carvajal, Samuel Fritz“, alle im Erdmann Verlag.
Was für eine beachtliche Reihe einschlägiger Veröffentlichungen! – dachte sich wohl ein Rezensent im Spektrum der Wissenschaft und attestierte dem Publizistenpaar Grün noch 2015, „ausgewiesene Kenner auf dem Gebiet der Historischen Geographie und des Zeitalters der Entdeckungen“ gewesen zu sein. Völlig zu Recht, denn:
Solche Kenner der Materie waren die Grüns, dass sie in ihrem Werk über die Eroberung Perus sogar einen „Augenzeugen“ jener bald 500 Jahre zurückliegenden Ereignisse präsentieren konnten, den bis dahin außer ihnen niemand gekannt hatte, nämlich den Augustinermönch „Celso Gargia“. Dieser „Fray Gargia“ soll Pizarros auf dessen Zug nach Peru begleitet und einen Bericht hinterlassen haben über das, was er dort mit eigenen Augen sah. Gefunden hatten die Grüns ihren „Zeugen“, wie sie einleitend erklärten, im Wiener Völkerkundemuseum (heute Weltmuseum), in einer dort befindlichen „Handschrift von Simancas“, deren Signatur sie freilich vergaßen anzugeben. Und das hatte seinen guten Grund …
Wie unlängst in der FAZ aufgedeckt, existiert diese Handschrift ebenso wenig, wie es jemals einen Celso Gargia gab. Wohl lebte einst in Spanien ein Augustinermönch namens Celso García, der auch tatsächlich als Autor eines Buches über „Pizarro o Historia del descubrimiento del Perú“ firmiert. Aber dieser Celso Garcia kam nicht im 15. oder 16. Jahrhundert, sondern 1884 zur Welt, und sein Buch erschien zuerst 1923 und trug den Untertitel „relatada a los niños“ – „erzählt für Kinder“.
Was die Grüns in ihrem Werk über „Die Eroberung Perus“ erzählten, war jedoch kein Kindermärchen, sondern eine Geschichte voller Blut, Fanatismus und Grausamkeit, die sie wohl im wesentlichen – so die Autoren des FAZ-Artikels – von dem amerikanischen Historiker William H. Prescott abgekupfert hatten. Dessen ursprünglich 1847 publizierte „History of the Conquest of Peru“ war kurz darauf auch auf Deutsch erschienen und 1937 in Wien neu aufgelegt worden. Das Ehepaar Grün tat nicht viel mehr, als Prescotts historische Erzählung in die erste Person umzuformulieren – fertig war der „Augenzeugenbericht“ des 16. Jahrhunderts, der in dieser Form sogar Eingang in deutsche und österreichische Schulbücher für Gymnasien fand.
Einschlägige vorstrafen
Der promovierte Altphilologe Robert Grün hatte offenbar bereits Anfang der 1930er Jahre, während seines Studiums an der Universität Wien, ein „entspanntes Verhältnis zur Wahrheit“ bewiesen, indem er die Unterschrift eines Professors fälschte und dafür eine Verwarnung und die Nicht-Anrechnung eines Semesters kassierte. Sein Titel wurde dem Herrn Doktor 1958 aberkannt, nachdem ihn das Landesgericht Linz wegen Veruntreuung von Verlagshonoraren zu einem Jahr „schwerer Kerkerstrafe“ verurteilt hatte, heißt es in dem FAZ-Artikel.
Nach dieser Lektüre war ich nun doch neugierig geworden, und so habe ich die Grün’sche Pigafetta-Ausgabe in der Edition Erdmann einer genaueren Prüfung unterzogen. (Dass ihr Text an vielen Stellen vom Original abweicht, war mir schon früher aufgefallen und der Grund, warum ich eine neue, authentische Übersetzung von Pigafettas Bericht anfertigte, die 2020 in der wbg erschienen ist.)
Koelliker hatte Pigafettas Bericht (in der 1801 bei Julius Perthes erschienen Übersetzung von Amorettis Edition) mit anderen historischen Quellen montiert. Sein Buch ist eine Art Quellen-Collage, die sich zu einer umfassenden Darstellung von Magellans geschichtsträchtiger Reise aufsummiert. Um ein Beispiel zu geben:
In Pigafettas Schilderung der Schlacht von Mactan am 21. März 1521, die Magellan das Leben kostete, schob Koelliker einen Abschnitt aus dem Brief des Maximilianus Transylvanus „Über die molukkischen Inseln“ ein, der Magellan folgende Ansprache in den Mund legte:
„Lasset euch nicht einschüchtern, meine Brüder, von der Ueberzahl dieser Indier, unserer Feinde! Gott wird mit uns sein! Erinnert euch, dass vor kurzem der Kapitän Fernando Cortes in Yukatan mit 200 Spaniern 200.000 und 300.000 Indianer besiegte.“ (Koellikers Übersetzung)
Was allerdings Unsinn ist, denn die Nachricht von Cortés’ Umtrieben in Yucatán (bzw. Tabasco, denn gemeint ist wohl die Schlacht von Centla) gelangte erst im November 1519 nach Europa, zwei Monate nach Magellans Abreise von Kastilien, sodass dieser davon gar nichts wissen konnte. Aber egal. Transylvanus schrieb es, und Koelliker zitierte ihn. Zitierte ihn wohlgemerkt, wie es sich gehört, mit Angabe seiner Quelle. Grün wiederum übernahm das Zitat, aber ohne es als solches kenntlich zu machen. Bei ihm wirkt es, als hätte Pigafetta selbst die vermeintliche Rede Magellans berichtet. Und so ging Grün an vielen Stellen vor: Er übernahm Koellikers Einschübe in Pigafettas Text, aber anders als Koelliker kennzeichnete er sie nicht als Einschübe, sodass ein unbedarfter Leser nun für Pigafettas eigene Worte halten muss, was eigentlich aus anderer Quelle stammt.
Zwar wies Grün in einer „Anmerkung zur Edition“ darauf hin, am Text „geringfügige Veränderungen oder sogar Einfügungen“ vorgenommen zu haben, „die dem Brief des Maximilianus Transilvanus oder den Werken zeitgenössischer Historiker entstammen“. Aber er verschwieg, dass er diese Einfügungen nahezu wörtlich von Koelliker übernommen hatte und nannte weder dessen Namen noch dessen Buch. Auch verriet Grün nicht, dass er überdies noch weitere Passagen in Pigafettas Bericht eingefügt hatte, die weder bei Koelliker noch sonstwo dokumentiert sind, sondern gänzlich seiner eigenen Fantasie entsprungen waren.
Sex & Crime
In welchen Sphären sich die Fantasie des Ex-Doktors bewegte, lässt sich jenen Stellen seiner Pigafetta-Edition entnehmen, die sich nur dort und sonst nirgends in der Literatur finden. Da wird von Streit- und Mordfällen fabuliert, von sexuellen und kannibalistischen Gelüsten, verurteilten Ehebrechern, Meuterei-Komplotten, Schlangenbissen und dergleichen Dingen mehr – reinste Pulp Fiction, mit der Grün wohl Pigafettas Text aufpeppen wollte. Eine dieser Szenen gebe ich hier wieder. Sie soll sich während der monatelangen Fahrt über den Pazifik abgespielt haben, während derer die Besatzungen der Schiffe großen Hunger litten:
„Ich sah einen, der mit von Gier erfüllten Augen auf einen soeben verstorbenen Spanier starrte und dabei den Unterkiefer mahlend hin und her bewegte, und ich gab mich keinem Zweifel hin, daß dieser Seemann überlegte, welches Stück er aus dem Toten schneiden könnte, um es roh hinunterzuschlingen.“
Wie war das noch? Wissen, Aufklärung, Weltverständnis, Verzauberung und Verführung …
Bevor Sie nun der Verführung erliegen und sich – in der Hoffnung auf Wissen und Aufklärung – überlegen, Pigafettas schönen und interessanten Bericht von der ersten Erdumsegelung in der Edition von Robert Grün zu lesen: Vom allzu gierigen Verschlingen dieses Buchs sei abgeraten. Sie sollten es zuerst gründlich filetieren und unbedingt cum grano salis zu sich nehmen.
Mehr als sechs Jahre lang bin ich ihm gefolgt: dem portugiesischen Ritter in spanischen Diensten und Heros der europäischen Seefahrt, Ferdinand Magellan, bin den Spuren nachgegangen, die er und seine verwegene Mannschaft in Archiven hinterlassen haben, bin lesend und recherchierend mit ihnen um die ganze Welt gereist. Früchte dieser Arbeit waren – nebst vielen Artikeln und Radio-Beiträgen – zwei Bücher, die offenbar beide ihre Leserinnen und Leser gefunden haben: die Monographie „Magellan oder Die erste Umsegelung der Erde“, mittlerweile in 4. Auflage bei C.H. Beck Paperback erhältlich, und meine Neuübersetzung von Antonio Pigafettas legendärem Reisebericht, die erste vollständige und originalgetreue ins Deutsche. Unter dem Titel „Die erste Reise um die Welt. An Bord mit Magellan“ erschien sie 2020 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und war kurz vor Weihnachten schon zum zweiten Mal vergriffen (ist aber inzwischen ebenfalls wieder bestellbar).
Diese Geschichte zu erkunden und zu erzählen, war spannend, war lehrreich und hat vor allem mächtigen Spaß gemacht. Aber nach mehr als sechs Jahren ist es nun genug und an der Zeit, sich anderen Dingen zu widmen – oder um es mit einer Metapher aus dem (an Metaphern bekanntlich nicht armen) Reich der Seefahrt zu auszudrücken: Zeit ist es, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Wohin die Reise geht, wird noch nicht verraten, nur mit gebührender Rührung Abschied genommen:
¡Que tenga Ud. buen viaje, comendador!
(PS: Ihre Fragen zum Thema beantworte ich, soweit ich kann, natürlich weiterhin: Kontakt.)
Der gute Magellan wollte eigentlich im Herbst 1518 zu seiner Molukken-Fahrt aufbrechen. Tatsächlich in See gestochen ist er ein Jahr später, im September 1519. So war auch ich letzte Woche noch optimistisch, dass am 24. Juni eine seit langem geplante Lesung aus meinem BuchMagellan oder Die erste Umsegelung der Erde und aus Antonio Pigafettas Bericht über Die Erste Reise um die Welt in der VHS Reutlingen stattfinden würde. Doch nun mussten wir die Veranstaltung leider verschieben – im Verschieben sind wir inzwischen Routiniers – und zwar auf den 10. März 2022. Also bitte vormerken für nächstes Frühjahr!
Stefan Zweig in der Diskussion
Am 16. Juni habe ich im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek mit Arnhilt Inguglia-Höfle, Bernhard Fetz und Arturo Larcati über den Autor Stefan Zweig und seine Welt diskutiert. Maria Happel hat Texte von Stefan Zweig vorgelesen. Ich fand es sehr anregend, mit ausgewiesenen Fachleuten über einen Schriftsteller zu sprechen, der bis heute mit seinen Werken – nicht zuletzt dem Roman Magellan – das Bild prägt, das sich viele Menschen von der Geschichte machen. Interessierte können die Diskussion hier oder auch hier nachverfolgen.
Quantitative Rezensionsmethoden?
Eines der wichtigsten deutschsprachigen Rezensionsjournale für die Geschichtswissenschaft, die „Sehepunkte“, hat meine Pigafetta-Neuübersetzung mit einer Besprechung gewürdigt. Das freut mich natürlich außerordentlich. Aber ich musste mich auch wundern, nach welchen Kriterien dort Bücher rezensiert werden. Um zu überprüfen, ob meine Übersetzung tatsächlich die erste vollständige (und originalgetreue) in deutscher Sprache sei, hat der Rezensent sich doch tatsächlich die Mühe gemacht, die Seitenzahlen der älteren Ausgaben von Pigafettas Text mit dem Umfang meiner Neuübersetzung zu vergleichen! Und nachdem er festgestellt hat, dass jene mehr Seiten haben, „erscheint es“ ihm „unwahrscheinlich, dass die beiden letzteren größere Teile der Originaltexte ausgelassen haben“. Na denn! So ganz dürfte der Rezensent seinen quantitativen Methoden allerdings selbst nicht trauen, denn er räumt ein: „Es kann durchaus sein, dass Jostmanns Übersetzung textgetreuer ist.“
Dieses Foto wurde heute vormittag ca. 25 Kilometer nördlich von Wien aufgenommen, knapp vor dem astronomischen Frühlingsanfang um 10:37 Uhr MEZ:
Was es sonst noch Neues gibt?
Meine Neu-Übersetzung von Antonio Pigafettas Weltreisebericht, die seit Weihnachten vergriffen bzw. nur als „Book on Demand“ erhältlich war, ist endlich wieder lieferbar. Für alle, die es noch nicht wissen: Es ist die erste vollständige, orignalgetreue und farbig illustrierte deutsche Übersetzung dieses überaus lesenswerten Buches aus dem Jahr 1524.
Und am Dienstag, den 16. März 2021, jährte sich zum 500. Mal der Tag, an dem europäische Seefahrer erstmals der heutigen Philippinen ansichtig wurden. Daniela Wakonigg hat aus dem Anlass für den WDR ein so stimmungsvolles wie nachdenklich stimmendes „Zeitzeichen“ produziert, zu dem ich ein Interview beisteuern durfte: hier nachzuhören.