Mit der Natur versöhnt

Veröffentlicht am 4. Juni 2024

Eigenes Gemüse zu ziehen, ist ein Sehnsuchtsort vieler Menschen. Die Hände im Humus, den sorgenden Blick zarten Pflänzchen zugewandt, suchen sie nach ihrem beim Geldverdienen abhanden gekommenen inneren Selbst. Und dann wollen sie die Früchte genießen, die Mutter Natur freigiebig denen schenkt, die im Einklang mit ihr tätig sind.

Auch ich habe über Jahrzehnte versucht, dieses grüne Utopia in unserem Garten zu verwirklichen, dafür viel Zeit investiert – und nicht wenig Geld, denn die Produktpalette, die Baumärkte und Discounter für den biologischen Privatanbau anbieten, ist groß. Je größer aber das Investment, desto ärgerlicher natürlich, wenn man um den Ertrag seiner Mühen gebracht wird durch Mitesser, die selbst nicht säen, jedoch umso eifriger ernten. So wie die Nacktschnecken, die (angeblich aus Spanien) ihren Weg auch in unseren Garten gefunden haben.

Dass Arion vulgaris sich bei uns so wohlfühlt, ist einerseits der Lage unseres Gartens am feuchten Grund nahe eines Baches und in der schattigen Nachbarschaft alter Bäume geschuldet. Aber ich leiste seinem evolutionären Erfolg, fürchte ich, noch Vorschub mit meiner liberalen Einstellung gegenüber allem, was wächst. In unserem Garten herrscht ordentlich Wildwuchs, in dem nicht nur das Unkraut, sondern auch die Nacktschnecken gedeihen.

Nun stößt aber naturgemäß jedes „Leben und leben lassen“ da an Grenzen, wo die anderen das Eigene nicht leben lassen – und sei es auch, wie in diesem Fall, nicht das eigene Leben, sondern nur das eigener Gemüsekulturen, auf die sich die unersättlichen Bauchfüßer mit Vorliebe stürzen, solange sie noch jung sind, um sie rest- und rücksichtslos zu vertilgen.

Arion vulgaris kennt kein Erbarmen.
Bild: Foto Reves, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Ob Spinat oder Salat, Erdbeeren oder Erbsen, Kürbis- oder Gurkensetzlinge, Tomaten, Bohnen, ja sogar über Chili- und Kartoffelpflanzen machen sie sich her und lassen von ihnen nichts übrig als glänzende Schleimspuren am Boden.

Wer lässt sich so etwas schon gern gefallen?

Also bin ich zur Bekämpfung der Nacktschnecken aus-, bin ihnen mit Bierfallen und Schneckenkorn zu Leibe gerückt, habe sie wochenlang Abend für Abend im Licht der Stirnlampe eingesammelt, oft genug von Mücken gepeinigt, nicht selten im strömenden Regen, habe alles ausprobiert, die Schädlinge unschädlich zu machen: sie entzwei geschnitten, mit kochendem Wasser übergossen, ins Lagerfeuer geworfen, in Marmeladengläser gefüllt und in der Sonne stehen gelassen, bis sie sich zu einem stinkenden Sud zersetzt hatten … Auch habe ich Eierschalen und Lavagranulat ausgestreut, Schneckenzäune und Hochbeete errichtet in der Hoffnung, die lusitanischen Leckermäuler von meinen Kulturen fernzuhalten, und endlich, des ewigen Kampfes und Tötens müde, sogar Indische Laufenten angeschafft, von denen man sagt, sie seien die größten Fressfeinde der Nacktschnecken.

Doch obwohl wir zeitweilig zehn solcher Enten im Garten hielten, wurden auch sie der Plage nicht Herr, denn so eine Ente frisst vielleicht ein Dutzend Schnecken am Tag (nebst Spinat, Salat und anderen Dingen), im späten Frühjahr jedoch, zur Anbauzeit, fallen die gierigen Gastropoden in Heerscharen zu Tausenden und Abertausenden über unseren Garten her, tummeln sich auf dem Rasen, den Wegen, Komposthaufen und Beeten, kriechen in den Nächten, wenn es abkühlt, die noch warme Hauswand hinauf, ihren Kot hinterlassend, und überziehen die Fenster mit sich kreuzenden Schleimspuren, sodass wir uns zeitweilig wie unter Belagerung fühlen.

Schwadron indischer Schneckenfresser (Anas platyrhynchos) im Einsatz.

Gegen eine solche Invasion können auch ein paar Laufenten nichts ausrichten, und so haben wir, nachdem eines dämmrigen Novembernachmittags mutmaßlich ein Fuchs drei unserer damals noch vier Enten gerissen hatte, die Hinterbliebene einer Nachbarin geschenkt und uns keine neuen mehr angeschafft.

Heute bin ich frei.

Eines Abends, als ich wieder einmal über meinen Beeten hockte, Schnecken einsammelte und sie – weil ich sie schon lange nicht mehr töten mag – kurzerhand über den Zaun auf den brachliegenden Acker nebenan warf, im Wissen, dass die Schnecken von dort wieder in unseren Garten kriechen würden, sodass es eigentlich ein sinnloses Unterfangen war, sie dorthin zu werfen, aber ich dachte, auf diese Weise gewönnen meine Pflänzchen etwas Zeit, die ihnen – oder wenigstens einigen von ihnen – vielleicht so gerade eben erlauben würde, über die kritische Phase des Keimens hinauszuwachsen – während ich also dort hockte und Nacktschnecken aufklaubte, erkannte ich, dass diese schleimigen Tiere nicht viel anders sind als wir Menschen, oder besser gesagt: wir Menschen nicht anders als sie.

Auch wir fallen über diesen Planeten her, haben keine Fressfeinde mehr, sind unersättlich, wollen immer nur das Beste für uns, und der ökologische Fußabdruck, den wir hinterlassen, ist noch viel schlimmer als die Schleimspuren der Bauchfüßer.

Ich erkannte: Die Nacktschnecke ist unser Alter Ego und sie ist unsere Nemesis. Und in dem Augenblick beschloss ich aufzugeben, den Gemüseanbau für immer sein und den Garten den Schnecken zu überlassen. Seither geht es mir besser. Seither bin ich mit der Natur versöhnt, und mein Gemüse kaufe ich im Supermarkt.

Alle Räder stehen still, wenn der böse Marder will

Veröffentlicht am 8. Mai 2024

„Am Land geht es nicht ohne Auto“, heißt es oft. Sagen wir mal so: Es ginge schon, jedenfalls wenn man wie wir in einem Ort wohnt, wo einmal in der Stunde die Schnellbahn hält. Aber man müsste sein Leben natürlich ganz anders organisieren und für viele Wege, Einkäufe, Arztbesuche, Familienausflüge usw. deutlich mehr Zeit einplanen, die einem dann wohl für andere Dinge abgehen würde. Darum haben auch wir ein Auto.

Was bei solchen Aussagen gern unter den Tisch fällt: Auch am Land kann man ein Auto so oder so nutzen. Man kann sein Auto etwa für kürzere Wege stehen lassen und stattdessen aufs Rad steigen oder, um die Kinder von der Musikschule oder vom Sport abzuholen, Fahrgemeinschaften bilden und natürlich versuchen, umweltschonender zu fahren, das heißt langsamer.

Um es gleich zu sagen: In unserem ländlichen Umfeld sind solche Verhaltensweisen ein Minderheitenprogramm.

Oder wie mein Großvater es ausgedrückt hätte: „Geht nicht heißt will ich nicht.“

Auftritt eines Marders bei einer künstlerischen Intervention.
Bild: Kolektyw Kariatyda, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Wie gesagt, auch wir haben ein Auto. Beziehungsweise, zur Zeit haben wir keines mehr, weil ein Marder sich im Motorraum ausgetobt und unter anderem – unser Auto ist ein Hybrid – das Hochvoltkabel zerbissen hat, das die Batterie mit dem Motor verbindet. Dieses Kabel zu ersetzen, kostet nicht nur eine mittlere vierstellige Summe, sondern es braucht auch fünf bis sechs Wochen, es zu liefern, sagt unsere Autowerkstatt. Das gibt uns jetzt reichlich Gelegenheit, die obige Aussage – „Ohne Auto geht es nicht.“ – auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.

Derartige Angriffe auf unseren Lebensstil sind natürlich nicht geeignet, unsere positive Einstellung zur Natur zu fördern – abgesehen davon, dass sie geradezu nach Verschwörungstheorien schreien!

Mein erster Gedanke war, dass militante Klimaschützer den Marder abgerichtet haben müssen, um möglichst viele Autos aus dem Verkehr zu ziehen. Aber hätte der vierbeinige Kabelterrorist dann nicht eher die SUVs, Pickups und vorsintflutlichen Stinkediesel attackieren sollen, die zahlreich in unserer Nachbarschaft herumstehen, und nicht unseren vergleichsweise sparsamen Hybrid?

Doch dann ging mir ein Licht auf: Nicht die Klimaschützer hatten den Marder abgerichtet und auf Hybridkabeljagd geschickt, sondern dahinter muss die Verbrenner-Lobby stecken, wahrscheinlich im Verein mit den Geheimdiensten erdölfördernder Schurkenstaaten. Sie senden jetzt sogar Tiere aus, um gezielt Hybrid- und Elektroautos zu attackieren, damit die Besitzer:innen wieder auf reine Verbrenner umsteigen. Was für eine perfide Strategie!

Schlieren der Schöpfung

Veröffentlicht am 2. Juli 2023
Mit immerwährend großem Ruhm bedecken
Tat sich der Schöpfergott, als er die Welt
Erschuf und alles, was sie so enthält.
Doch was nur wollte Er damit bezwecken,

Als Er ins Dasein rief die nackten Schnecken?
Die hat der Teufel wohl bei Ihm bestellt.
Sie haben mir schon oft den Tag vergällt,
Sind aller Gartenfreunde wahrer Schrecken.

Das Schlimme ist an diesen grausen Tieren,
Dass ihnen leider welkes Grün nicht reicht
Und sie nach jungen Pflanzen immer gieren.

Und wenn er seinem Beete naht, erbleicht
Der Gärtner, weil er statt Salat bloß Schlieren
Sieht und sein Garten einem Schlachtfeld gleicht.

Klingt Sägelärm vom Forste

Veröffentlicht am 8. März 2023

Du hast ’nen Playsie-Pad aus Gold? Ich bin auf Kettensäge stolz!

Dass Holz sich gut als Brennstoff eignet, hat
Sich unter Eigenheimbesitzern bald
Herumgesprochen; wacker in den Wald
Ziehn sie mit ihren Pick-Ups aus der Stadt.

Mit Spaltaxt, Kettenöl und Sägeblatt
Bewaffnet, kennt ihr Wüten keinen Halt.
Weil ihre Badezimmer niemals kalt
Sein sollen, machen sie die Wälder platt.

Akazien, Buchen, Fichten, Eschen, Eichen:
Im Zweitakt-Dunst gehn splitternd sie zu Boden.
Sie müssen vor der Kettensäge weichen

Und bleiben leblos liegen auf den Soden.
Klingt Sägelärm vom Forste, ist’s ein Zeichen,
Dass Ofen-Eigner uns’re Wälder roden.

Wer eine Meise hat

Veröffentlicht am 15. März 2022

Ein paar Tage vor dem Angriff der russischen Staatsgewalt auf die Ukraine hatte ich ein Gedicht geschrieben, das ich an dieser Stelle veröffentlichen wollte, und zwar ein Sonett. So ein Sonett ist die Fingerübung eines Berufsschreibers, eine Tüftelei mit Worten, über deren Gelingen der Autor sich freut, sodass er sie gern herzeigt, ohne ihr jedoch größere Bedeutung zuzumessen – selbst wenn das Thema nur scheinbar unbedeutend ist. Das Sonett handelt nämlich von meinen Freunden, den Meisen. Aber als der Krieg ausbrach, erschien all das, die Meisen, das Sonett, mein literarischer Bastlerstolz, schlagartig bedeutungslos. Inzwischen denke ich, dass ich damit zumindest den Meisen Unrecht getan habe.

Gewalt macht mir seit jeher Angst, nicht zuletzt dann, wenn in mir drin die Wut hochkocht. Die Gefühle auszuhalten, die dieser Krieg beim vermeintlich abseits stehenden Zuschauer auslöst, Angst, Trauer, Zerknirschung und hilfloser Zorn, kostet Kraft. Dabei sollte ich mich als Historiker nicht wundern. Zivilisation und Verbrechen sind zwei Seiten derselben Medaille. Seit 1989 – dem Jahr, in dem ich volljährig wurde – herrschte auf der Erde immer irgendwo Krieg: von Irak, Jugoslawien und Tschetschenien über Kosovo, Afghanistan, wieder Irak, Jemen und Syrien bis zu den „Drogenkriegen“ in Mexiko und auf den Philippinen, um nur jene zu nennen, die mir ad hoc einfallen. Und doch war der russische Angriff auf die Ukraine ein Schock, ein körperlich empfundener Schock, den ich lange nicht werde verarbeitet haben. Tua res agitur, paries cum proximus ardet, haben wir seinerzeit in der Schule gelernt: Deine Sache steht auf dem Spiel, wenn die Nachbarwand brennt.

Bild: Martin Kunz, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Что делать? Was tun, wenn es brennt? Die Menschen in der Ukraine zeigen es uns gerade: Sie lassen sich nicht zu Opfern machen. Zu den Dingen, die wir tun können – Geflüchteten helfen, Energie sparen, für Demokratie und Menschenrechte eintreten, gemeinsam mit unseren Kindern Gewaltfreiheit üben –, gehört auch, sich weder von der Gewalt noch ihrer Androhung einschüchtern zu lassen. Und für Autoren gehört dazu, weiter zu schreiben und zu publizieren. Das sind wir auch den Meisen schuldig. Darum:

Sei mir gegrüßt, befreund’te Schar der Meisen!
Wie war der Garten eben noch so leer,
doch nun ein wildes Schwirren hin und her,
durchs Fenster trillern eure munt’ren Weisen.

Man kann euch Meisen nicht genügend preisen.
Der winterliche Garten läge sehr
verödet da, erstarrt, kämt ihr nicht mehr,
um ihn der Winterstarre zu entreißen.

Ein gelbes, blaues, weißes, schwarzes Flattern –
zwei kurze Beinchen reichen euch zum Klettern.
Ihr macht nicht Halt vor Zäunen oder Gattern.

Ihr turnt herum auf Ästen bar von Blättern.
Und wenn im Wind die Fahnen klirrend rattern,
dann dank ich euch als meines Tages Rettern.