Veröffentlicht am 8. März 2021
Heute ist der Tag, an dem eine gewisse sprachliche Unterscheidung große Beachtung findet: die von „Frau“ und „Mann“. Sie wird im Diskurs, jedenfalls seit dem 19. Jahrhundert, vielfach als sozialer Antagonismus verhandelt, der sich mit einem Modell der Spieltheorie als Kampf der Geschlechter oder auch, unter Rückgriff auf Hegel, als Dialektik von Magd und Herr beschreiben lässt. Beides hat viel für sich, aber heute will ich einen anderen Zugang zu diesem Thema wählen.
Nach einer Denkfigur von Niklas Luhmann (die Luhmann wiederum dem Logiker George Spencer Brown abgeschaut hat) kann jegliche Unterscheidung in einem zweiten Schritt auf die eine Seite des Unterschiedenen angewendet werden. Luhmann nennt diese Operation (wiederum mit George Spencer Brown) „re-entry“. Im Fall der Unterscheidung „Frau/Mann“ hieße das, dass die als Frau oder Mann markierten Personen ihrerseits im Hinblick auf ihre weiblichen oder männlichen Seiten unterschieden werden können. Mit anderen Worten, eine Beobachterin kann eine Frau als ausgesprochen feminin oder im Gegenteil als maskulin beschreiben und ebenso einen Mann als effeminiert oder eben viril.
Betrachte ich den aktuellen Diskurs um die Rollen von Frau und Mann unter der Figur des „re-entry“, nehme ich vorherrschend eine (oft unausgesprochene) normative Präferenz für die männliche Seite der Unterscheidung wahr. Wer die Gleichstellung der Frau fordert, meint in der Regel den Zugang von Frauen zu sozialen Rollen, die bis vor wenigen Generationen Männern vorbehalten waren: Rollen, die vor allem der sogenannten Arbeitswelt zuzordnen sind, und innerhalb dieser insbesondere Führungsrollen. Frauen, so wird implizit angenommen, wollen und sollen wie Männer Karriere machen und deren Rollen besetzen. Sie sollen mit Männern – und anderen Frauen – um Erfolg, Prestige, Einfluss, Geld, kurzum sozialen Status konkurrieren.
So sehr ich (im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten) die Forderung nach Gleichstellung unterstütze, so einseitig finde ich sie. Zugespitzt formuliert läuft der Diskurs darauf hinaus, dass Frauen möglichst wie Männer werden sollen und dass die Gesellschaft ihnen diese Möglichkeit einzuräumen habe. Traditionell weiblich definierte Rollen wie insbesondere das Aufziehen von Kindern und, damit räumlich verbunden, die Sorge für den Haushalt erscheinen dabei vorwiegend als lästiges Hindernis für die beruflichen Karrieren von Frauen, das ausgeräumt werden muss.
Gelingen soll das a) durch technische Errungenschaften, die die Hausarbeit (oft nur scheinbar) erleichtern (und de facto oft vermehren, weil sie Perfektionsansprüche fördern), b) durch die Auslagerung häuslicher Arbeit, sofern möglich, an sozial schwächere Menschen (also in den meisten Fällen wieder an Frauen), oder c) indem die männlichen Partner einen größeren Anteil an besagter Arbeit übernehmen. Männer, die nicht imstande sind, ihre Frauen durch Methode a) oder b) zu entlasten und daher selbst Hausarbeit und Kinderbetreuung leisten müssen, erleiden nach der Spieltheorie einen Verlust, weil sie ein gesellschaftlich höher bewertetes, „männliches“ Gut – beruflichen Erfolg – gegen ein geringerwertiges, „weibliches“ eintauschen müssen.
Als unsere Tochter auf die Welt kam, hatte auch ich das skizzierte Werteschema im Kopf, und als liberaler und fortschrittlicher Mann, der ich mich dünkte, war ich bereit, meinen Beitrag zu leisten, damit meine hochintelligente, gut ausgebildete Frau möglichst rasch nach der Geburt in ihren Beruf zurückkehren konnte. Meine Frau und ich waren uns daher einig, die Betreuung unserer Tochter während der ersten Lebensjahre so aufzuteilen, dass in Summe jede von uns in etwa die Hälfte übernehmen würde. Im Großen und Ganzen, denke ich, ist die Rechnung für uns beide aufgegangen, auch seitdem einige Jahre später ein Sohn dazugekommen ist. Was sich jedoch im Lauf der Zeit geändert hat, ist unsere Motivation.
Ging es vor allem mir anfangs darum, meiner Frau den Rücken für ihre berufliche Selbstverwirklichung freizuhalten, so empfinde ich es heute als Glück für mich, dass ich so viel Verantwortung für die Kinder übernehmen, so viel Zeit mit ihnen verbringen durfte und – in altersbedingt abnehmendem Umfang – noch darf. Meine Kinder haben mich gelehrt, die Welt mit anderen Augen zu sehen, und sie haben mir selbst quasi eine zweite Kindheit ermöglicht, ein emotionales Abenteuer, das meine Persönlichkeit verändert hat in einer Weise, die ich als Befreiung und Bereicherung erlebe. Sie ließe sich mit Luhmann und George Spencer Brown als „re-entry“ des Weiblichen in mein männlich sozialisiertes Ego beschreiben.
Aus dieser Erfahrung heraus bemängele ich, dass im Diskurs um die Befreiung der Frau die männliche Seite der Unterscheidung dominiert. Frauen sollen noch immer frei werden von Kindern und Haushalt und für die Männerwelt bezahlter Arbeit, auf dass sie in ihr Karriere machen und viel Geld verdienen, Männer wiederum ihre Plätze freimachen und lernen, sich mit einem geringeren gesellschaftlichen Status zu bescheiden, wie er weiblichen Rollen zugemessen wird. Die Gleichstellung der Frau erscheint so als Nullsummenspiel. Dabei geht es für uns Männer gar nicht darum, etwas zu verlieren, sondern zu gewinnen. Daran möchte ich am Weltfrauentag erinnern.