Omikron

Veröffentlicht am 7. Februar 2022

Seit mehr als einer Woche leisten also auch wir unseren Beitrag zum Erreichen der Herdenimmunität. Nachdem unser Sohn das Virus aus der Schule eingeschleppt hatte und krank wurde, ging es wie bei den Dominosteinen: Zwei Tage später ist meine Frau umgefallen, tags darauf ich, nur unsere Tochter trotzt bisher standhaft den unsichtbaren Invasoren. Wie es scheint, haben wir gottlob eh nur das, was die Virologen einen „milden Verlauf“ nennen. Aber auch wenn das Virus altersmilde geworden sein mag: Wir waren bloß froh, dass unsere Kinder aus dem Gröbsten heraus sind. Was Eltern von – womöglich gar erkrankten – Kleinkindern durchmachen, wenn sich beide gleichzeitig das Coronavirus einfangen, möchte ich mir nicht ausmalen. Knockout und Quarantäne sind schon keine gute Kombi. Aber Kleinkinder würden ihr die Krone aufsetzen.

Wer blöde Kalauer machen kann, muss sich auf dem Weg der Besserung befinden. Auch ein wieder erwachtes Interesse für die Außenwelt gilt ja gemeinhin als gutes Zeichen bei einem Kranken. Ob dieses Interesse seiner Rekonvaleszenz förderlich ist, steht auf einem anderen Paper. Der erste Blick über den Tellerrand unseres Quarantänehaushalts galt natürlich der allgemeinen Pandemielage. Und da lese ich gleich die Meldung, Herr Lauterbach habe getwittert: „Studien legen nahe, dass man sich relativ kurz nach der Infektion (mit ‚Omicron‘) wieder anstecken kann.“ Ich kann schon verstehen, warum dieser Mann vielen so sympathisch ist. Er ist immer so aufbauend. Aber hatte Herr Drosten nicht gerade erst erklärt, dass man nach drei Impfdosen und anschließender Infektion „auf Jahre hinaus“ immun sei? Frag zwei Ärzte, und du kriegst drei Antworten.

Wobei man als Laie ja froh sein kann, wenn diese Götter in Weiß in normaler Sprache zu einem sprechen. Auf orf.at wird ausgiebig Katharina Reich zitiert. Die Dame ist Vorsitzende der GECKO, der „Gesamtstaatlichen Krisenkoordination“, die am Wochenende ihre Strategie für den Herbst präsentiert hat. Diese beinhaltet eine Auffrischungsimpfung im September. Weil: „Dies nicht nur, um den Individualschutz zu verbessern, sondern auch den kurz dauernden infektions- und transmissionsreduzierenden Effekt der Boosterungen (den wir ja auch schon bisher gesehen haben) strategisch besonders gut für die Herbstwellendämpfung auszunützen. Dieser Effekt wird vor allem über die Antikörperbildung mediiert, die post-booster besonders gut ist.“

Das wird jedem Impfskeptiker unschwer einleuchten.

Wen wundert es da, wenn viele Menschen lieber Ricardo Leppe zuhören. Auf allen einschlägigen Kanälen holt der sympathische Jungunternehmer aus dem niederösterreichischen Gloggnitz die Menschen genau dort ab, wo sie sind. Ein  Menschenfischer, der im Netz seine Netze auswirft: „Wenn’s dich hier schon mal hergetrieben hat, dann wirst du vielleicht auch spüren, da draußen, da passt irgendwo was nicht. Die einen fressen sich zu Tode, und die anderen haben nichts zum Essen. Da rennt doch irgendwas schief. Oder wo es dann heißt, nein, wir sind doch die höchst fortgeschrittene Zivilisation überhaupt, aber wir sind fast alle so krank wie noch nie … da passt doch irgendwas nicht zusammen.“

Was nicht passt, wird passend gemacht – dank Ricardo Leppe, der das Übel an der Wurzel packt, nämlich den Staat an seinem Bildungsystem. Mit seinem Aufruf, den öffentlichen Schule den Rücken zu kehren, findet er offenbar wachsenden Zulauf, vor allem unter Menschen, die Probleme mit dem Impfen haben.

Herr Leppe („Er wuchs mit veganer Rohkost auf, freilernend und lebte mit seiner Familie 3 Jahre in Peru im Urwald.“) gibt gern zum Besten, dass seine Eltern ihm bis zu seinem 10. Lebensjahr alles selbst beigebracht hätten – in nur 30 Minuten pro Woche! Das könnten andere Eltern auch und hätten dann reichlich Zeit, mit ihren Kindern spannendere Sachen zu machen. In den Wald gehen zum Beispiel.

Ich habe unsere Tochter gefragt, was sie besser fände, wenn sie die Wahl hätte: mit uns in den Wald oder in die Schule zu gehen? Die Arme, obwohl „pumperlg’sund“, hockt seit mehr als einer Woche in freiwilliger Quarantäne mit uns zuhause herum, um niemanden versehentlich anzustecken. Sie hat nur die Augen verdreht und geseufzt: „Ich wäre so gern bei meinen Freunden in der Schule“. Noch lieber wäre sie jetzt allerdings irgendwo im Süden am Meer. Wie sind eigentlich die Strände in Peru, Herr Leppe?

Nachträglicher Vorschlag am 8. Februar 2022

Warum nimmt unsere Regierung eigentlich nicht Herrn Leppe unter Vertrag, damit er für die Impfpflicht wirbt? Gewiss hat der Mann seine Prinzipien, und Prinzipien haben ihren Preis. Aber er scheint auch Geschäftssinn zu haben, und nachdem sich der Bund durch den Ausfall der Impflotterie 1,5 Milliarden Euro erspart, sollte das doch Spielraum für ein diskutables Angebot eröffnen. Gloggnitz wäre jedenfalls ein pittoresker Ort für ein Damaskus-Erlebnis …

Impfen und Freiheit

Veröffentlicht am 24. November 2021

Als unser erstes Kind auf die Welt kam, haben wir viel mit unserer Kinderärztin diskutiert, einer sehr erfahrenen Frau, die einerseits alternative Medizin wie etwa Homöopathie praktizierte, andererseits aber vehemente Befürworterin des Impfens war. Wir dagegen machten uns Sorgen, dass unsere Tochter, ein zartes Wesen, an den zahlreichen empfohlenen Impfungen Schaden nehmen könnte. Zudem sahen wir nicht ein, warum das Kind gleich gegen sechs Krankheiten auf einmal geimpft werden musste, darunter gegen Keuchhusten, der zwar unangenehm ist, aber nur sehr selten lebensbedrohlich verläuft, und gegen Hepatitis B, mit dem sich ein gestillter Säugling, der in behüteten europäischen Verhältnissen aufwächst, schwerlich ansteckt.

Die Diskussionen zogen sich über Monate hin. Längst hatten wir den ersten Geburtstag unserer Tochter gefeiert, als wir den Argumenten unserer Ärztin endlich nachgaben und sie erstmals impfen ließen. Seither sind viele Jahre vergangen, und sowohl unsere Tochter als auch ihr jüngerer Bruder haben im Lauf der Jahre eine Reihe von Impfungen erhalten, die sie allesamt gut vertragen haben, unsere Tochter im vergangenen Juni auch die Covid-Impfung mit Comirnaty. Beide sind gesunde Kinder, nur selten krank, und sie entwickeln sich gut. Ob trotz oder wegen der Impfungen, kann ich nicht sagen, nur dass diese ihnen bisher anscheinend nicht geschadet haben – genauso wenig wie mir und meiner Frau.

Umgekehrt halte ich es für einen Irrglauben, dass Impfungen das wichtigste oder gar einzige Mittel sind, um gesund zu bleiben. Dazu braucht es nach meiner Erfahrung auch reichlich Bewegung an der frischen Luft, eine ausgewogene Ernährung, ein gewisses, nicht zu hohes Maß an Hygiene und noch etliches mehr, zum Beispiel eine Familie, Freunde, Musik, gute Bücher und einen Sinn in dem, was man tagtäglich tut. Von daher bedaure ich, dass die politischen Anstrengungen zur Überwindung der Covid-Pandemie fast ausschließlich auf die Ausmerzung des Krankheitserregers durch Impfung hinauslaufen. Auch der moralische und demnächst auch gesetzliche Druck, der auf Menschen ausgeübt wird, die nicht geimpft sind, ist mir zutiefst zuwider. Er geht mir gegen den Strich meiner liberalen Gesinnung.

Was staatlicher Zwang ist, habe ich als junger Mann am eigenen Leib erfahren. Als Kriegsdienstverweigerer musste ich fünfzehn Monate lang in einem Krankenhaus im Schichtbetrieb Pflegedienst leisten, für Kost und Logis und ein Taschengeld. Und das, um ein Gesundheitssystem am Laufen zu halten, das von Ungerechtigkeit und Ausbeutung derer geprägt ist, die darin arbeiten. Diese Erfahrung hat, um es vorsichtig auszudrücken, keine Liebe zum Staat in mir erweckt. Eine solche Liebe verspüre ich bis heute nicht, aber nachdem ich ein wenig in der Welt herumgekommen bin, sehe ich mittlerweile die Vorteile eines staatlichen Gewaltmonopols. Im Rückblick sehe ich auch den Zivildienst nicht mehr nur negativ, obwohl ich den Zwang zu einem solchen Dienst nach wie vor ablehne. Ein erwachsener Mensch sollte für alles, was er tut oder unterlässt, selbst Verantwortung übernehmen.

So verteidigte der Mennonit Daniel Musser während des amerikanischen Bürgerkrieges 1864 das Recht von Christen, den Kriegsdienst zu verweigern, weil dieser nicht mit Jesu Gebot der Gewaltlosigkeit vereinbar sei. Zugleich begründete Musser in seiner Schrift „Non-Resistance Asserted, dass jemand, der Gewalt ablehne und dem Staat nicht mit der Waffe dienen wolle, konsequenterweise auch weder den Schutz des Gesetzes noch die Dienste der Staatsgewalt, etwa der Gerichte oder Polizei, für sich in Anspruch nehmen dürfe. Die Staatsgewalt abzulehnen und gleichzeitig von ihr zu profitieren, ist ein ethischer Widerspruch.

Dasselbe gilt in nach meinem Verständnis auch für die Covid-Impfung und das gesetzliche Gesundheitssystem. Zweifellos gibt es viele Gründe, sich nicht gegen Covid impfen zu lassen. Allerdings würde ich erwarten, dass diejenigen, die sich aus freien Stücken gegen die Impfung entscheiden, eine Patientenverfügung unterschreiben, durch die sie im Fall einer Erkrankung an Covid darauf verzichten, in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen behandelt zu werden. Wären alle Ungeimpften so konsequent, dann würde sich nicht nur die Lage auf den Intensivstationen entspannen, sondern im ganzen Land. Eine Impfpflicht wäre aller Wahrscheinlichkeit nach unnötig, und die unselige Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften, die seit Wochen den öffentlichen Diskurs vergiftet, würde geheilt.

Liebe Impfskeptiker, bitte seid so frei: Tut, was ihr für richtig haltet, aber übernehmt Verantwortung für eure Entscheidung!

Skifoan!

Veröffentlicht am 22. Februar 2021

Wer Anfang der siebziger Jahre in Norddeutschland zur Welt kam, dem wurden die Ski nicht in die Wiege gelegt, schon gar nicht in der Gesellschaftsschicht, in die ich geboren wurde. Die Alpen waren weit weg, und Winterurlaub war teuer. Unbelastet von eigenen Erfahrungen mit dieser Sportart konnte ich mir also in aller Ruhe eine Meinung über sie bilden, welche lautete: Skifahren ist nichts für mich! Ich stellte mir darunter so etwas wie Eislaufen vor, nur viel grauslicher, weil man beim Skifahren nicht bloß auf wackligen Sohlen unwillkürlich in irgendeine Richtung schlitterte und dann hinfiel, sondern das ganze auch noch bergab.

Dann kam der Tag, da ich in eine österreichische Familie einheiratete und die Eltern meiner Frau uns in den Skiurlaub einluden. Die Einladung auszuschlagen, wäre unhöflich gewesen. Und obwohl ich fand, mit über dreißig viel zu alt zu sein, erklärte ich mich bereit, einen Tag mit meiner Schwiegermutter – die als Lehrerin etliche Schulskikurse begleitet hatte – auf den „Deppenhügel“ zu gehen, um mich in den Grundlagen des alpinen Skilaufs unterweisen zu lassen. Insgeheim gedachte ich im Laufe des Tages meine Untauglichkeit zu diesem Sport so gründlich unter Beweis zu stellen, dass nie wieder jemand auf die Idee käme, mich dazu ermuntern zu wollen.

Was gute Pädagogik doch bewirken kann …

Am nächsten Nachmittag fuhr ich bereits, wenn auch hauptsächlich zur Belustigung – oder Verärgerung – der übrigen Skifahrer, meine erste „rote“ Piste hinab, und aus dem Urlaub heimgekehrt war das erste, was ich tat, beim Alpenverein einen „Tiefschnee-Schnupperkurs“ zu buchen. Der Kurs trug seinen Namen völlig zu Recht – jedenfalls was mich betraf, denn die meiste Zeit lag ich mit der Nase im Schnee. Meiner Begeisterung tat das keinen Abbruch. Sie hält bis heute an, obwohl ich den Rummel der großen Skigebiete schon lange leid bin, ebenso wie die bretthart präparierten Kunstschnee-Pisten und die horrenden Preise, die man für eine Liftkarte zahlt. Aber eine gemächliche Skitour durch die stille Landschaft, ein paar beherzte Schwünge durch Pulver oder Firn – was gäbe es Schöneres zur Winterzeit!

Auf die Piste gehen wir auch noch ab und an, hauptsächlich der Kinder wegen, damit sie an die frische Luft kommen und sich bewegen, was uns in diesem Winter noch dringlicher erscheint als sonst, wo doch alle Sportvereine, alle Schwimmbäder und Turnhallen stillgelegt sind. Von den skandalösen Zuständen, über die in den Medien berichtet wurde, haben wir in den Skigebieten im Osten Österreichs allerdings nichts bemerkt. Auch wenn zum Teil einiges los war: Die Liftbetreiber hatten Regeln für einen sicheren Betrieb festgelegt und sorgten, sofern nötig, für deren Einhaltung. Die allermeisten Leute hielten eh Abstand und trugen Masken. Statt einer heißen „Supp‘n“ zu Mittag und beschallter Hüttengaudi gab es geschmierte Brote und Tee aus der Thermoskanne am Parkplatz. Und dann hieß es wieder „nix wie aufi“!

Hauptsache gesund

Aktualisiert am 22. Februar 2021

Es ist eine Weile her, da las ich in der Zeitung ein Interview mit dem vormaligen Chef einer der größten österreichischen Banken. Nach Jahrzehnten verantwortungsvoller Tätigkeit an der Spitze seines Instituts war der Mann kürzlich in Pension gegangen und wollte sich nun dem Aufbau einer Stiftung widmen, die den löblichen Zweck hat, das allgemeine Niveau finanzieller und kaufmännischer Bildung zu heben. Diese lasse nicht nur in Österreich zu wünschen übrig, klagte der Interviewte und setzte hinzu: „Denn finanzielle Gesundheit“ sei „nach der physischen Gesundheit das Zweitwichtigste.“

So ist das also, dachte ich mir damals: Wenn einer nicht alle Tassen im Schrank hat, ist das anscheinend halb so wild, solange nur seine Leber gesund und sein Bankkonto gut gefüllt ist. Geistige oder psychische Gesundheit, um von seelischer gar nicht zu reden, schien für diesen Herrn kein nennenswertes Gut zu sein. Und ich fragte mich, ob sein Denken repräsentativ sei für Menschen seines Schlages, die als Führer der größten Firmen des Landes maßgeblichen Einfluss auf den Kurs der österreichischen Wirtschaft, ja der Gesellschaft insgesamt ausüben.

Heute neige ich dazu, diese Frage zu bejahen. Schaue ich mir nämlich an, nach welchen Prioritäten hierzulande, aber auch anderswo der Kampf gegen das Coronavirus geführt wird, so habe ich den Eindruck, dass es in diesem Kampf nur darum geht, das physische Überleben der Bevölkerung zu sichern und die Wirtschaft irgendwie am Laufen zu halten. Dafür stehen scheinbar unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Bildung, Kultur, überhaupt alles, was sonst Menschen geistig und psychisch stärkt, spielt dagegen so gut wie keine Rolle. Schulen werden zu- und Heranwachsende monatelang zu Hause eingesperrt, ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen. Sportvereine lahmgelegt. Kinos, Theater, Bibliotheken, Museen und Konzertsäle verschlossen. Familien voneinander getrennt, Alte abgesondert und Sterbende allein gelassen.

Nein, auch ich habe keine Patentlösung parat. Aber je mehr die „Krise“ zum Normalzustand wird, desto deutlicher erkenne ich, was in unserer Gesellschaft wirklich von Belang ist. Kinder, ihre Zukunft, Bildung, Kultur und überhaupt das innere Glück der Menschen zählen offensichtlich nicht dazu. Es offenbart sich das Menschenbild einer Politik, die die Stimmungen der breiten Masse und die Interessen einer kleinen Minderheit bedient.

Siehe auch

Maßloses Wünschen

Veröffentlicht am 22. Dezember 2020

Wir können den Kindern nicht alle Wünsche erfüllen, auch nicht zu Weihnachten. Sie werden heuer wieder keinen Hund bekommen, obwohl ein Vierbeiner ganz oben auf beider Wunschzettel stand. Auch ein anderer Wunsch wird leider nicht in Erfüllung gehen: weiße Weihnachten. Aber das ist ja nichts Neues. Außerdem haben unsere Kinder das Alter magischen Denkens und des Glaubens an die grenzenlose Macht der Eltern längst hinter sich gelassen. Neu ist allerdings, dass ein weiterer Herzenswunsch, der sonst zum Jahreswechsel wahr zu werden pflegt, diesmal unerfüllt bleiben muss: die Großeltern und Cousins im fernen Deutschland wiederzusehen. Das heißt, Sehen wäre ja nicht das Problem, dank Zoom, Skype & Co. Aber wie die Tochter sagt: Das ist nicht dasselbe. Sie hat recht, finde ich.

Es folgt ein Bekenntnis:

Ich bin kein Corona-Leugner. Ich trage keinen Aluhut und fürchte nicht, dass ein philantropischer Milliardär aus Seattle uns alle zwangsimpfen will. Ich halte es für sinnvoll und ethisch richtig, dass eine Gesellschaft koordinierte Anstrengungen unternimmt, um eine Infektionskrankheit einzudämmen, die das Leben und die Gesundheit vieler Menschen bedroht. Auch wenn wir uns um unsertwillen nicht vor dem Coronavirus fürchten, tragen meine Frau, unsere Kinder und ich bisher alle verordneten Maßnahmen klaglos mit. Wir tragen also in der Öffentlichkeit MNS-Masken, halten Abstand zu anderen Menschen, bleiben die meiste Zeit zuhause, empfangen keinen Besuch mehr, organisieren, wenn die Schulen wieder mal zusperren, den Heimunterrricht, sind zum Massentest gegangen, achten noch mehr als sonst darauf, uns nicht zu verletzen, um ja keine Spitalskapazitäten zu binden, tun im Übrigen unsere Arbeit und geben fleißig Geld aus, damit die Wirtschaft nicht den Bach runtergeht.

Manche sagen, so ein Leben, wie wir es jetzt führen, sei kein Leben mehr. Das finde ich übertrieben. Reduktion, richtig verstanden, ist immer auch Gewinn, und solange es Bücher gibt und man, wie wir, nach draußen gehen kann, kann vom Ende des Lebens keine Rede sein. Aber auch an mir nagen zunehmend Zweifel, ob die im Wochentakt verordneten Maßnahmen noch in einem angemessenen Verhältnis zum Ausmaß der Gefahr stehen, dem wir als Gesellschaft – nicht als Individuen – ausgesetzt sind. Ich frage mich, ob unsere Ängste auf der einen Seite und auf der anderen der Wunsch, alle Gefahren und Fährnisse des Lebens kontrollieren oder gar ausschließen zu können, nicht eine unheilige Allianz eingegangen sind. Als ich neulich jemandem erzählte, meine Frau und ich seien mit zwei anderen Menschen, die nicht in unserem Haushalt leben, im Wald spazieren gewesen, wurde ich ernsthaft gefragt, ob wir das denn „verantworten“ könnten …

In der Weihnachtsgeschichte kommt dieser Satz vor, den der Engel zu den Hirten spricht: Fürchtet euch nicht! Das ist leicht gesagt, vor allem, wenn man ein Engel ist. Dennoch weckt der Satz einen Wunsch in mir, von dem ich allerdings nicht weiß, wer ihn mir erfüllen kann. Ich wünsche mir, dass wir alle uns im neuen Jahr weniger von unseren Ängsten regieren lassen.