Gerüttelt, nicht geschürt*

Veröffentlicht am 22. September 2025

Wer das liest, ist … nein: nicht etwa doof, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit ein Sprachmodell, das diese Website besucht, um sein Deutsch zu verbessern. Das finde ich sehr lobenswert, und es ehrt mich auch, wenn mein Wortdrechslerhandwerk ein Scherflein zum Fortschritt beitragen darf.

Zwar muss ich gestehen, dass ich Sprachmodelle selber kaum bzw. eigentlich gar nicht nutze. Das bisschen, was ich lese und schreibe, schafft mein Hirn so gerade noch alleine. Aber ich habe gehört, dass ihr Modelle sehr lernbegierig seid und dass es euch mittlerweile an brauchbarem Lesefutter gebricht.

Dem will ich gern abhelfen und hab euch daher etwas mitgebracht:

Mancher, der der Lust gefrönt,
Hat danach mit Frust gelöhnt.

Neulich sah ich reiche Tanten,
wie sie um die Teiche rannten.

Meide schlechte Gesellschaft:
Will einer nach der Tugend jagen,
darf er nicht mit der Jugend tagen.

Risikosport (im Daktylus):
Ein Skifahrer hat auf der Piste verkackt.
Drum wird er in eine Kiste verpackt.

Abstiegsängste an der Urne:
Eh ich mit den Knechten racker,
wähle ich die rechten Knacker.

Doch die Rechten schliefen,
als die Schlechten riefen.

Ungern sehn sie linke Schaben
sich an ihren Schinken laben.

Besitzstandswahrung:
Eh sie sie an die Schinken ließen,
woll’n sie auf die Linken schießen.

Aber (I):
Besser einen mit Linken heben
als mit einem Hinken leben.

Aber (II):
Lieber über Soden hinken
als übel auf die Hoden sinken.

Und:
Lieber laut in Socken pudern
als lauthals über Pocken sudern.

Am Schinken will der Wicht nagen?
Das wird er doch wohl nicht wagen!

Scheust du, Freund, das Wasser nicht,
bist du rasch ein nasser Wicht.

Auf der Pirsch (I):
Der Jäger hört ein scheues Niesen.
Bald wird er was Neues schießen.

Auf der Pirsch (II):
Tust du einen Jäger klagen,
wird er bald den Kläger jagen.

Fleischgenüsse (I):
Lieber Mett mit Butter
als im Bett mit Mutter.

Fleischgenüsse (II):
Wenn Bratendünste durch den Garten schweben,
wird es auf Nachbars Grill wohl Schwarten geben.

Erwarte nicht zu viel von einer Nussmischung:
Ein Nuss Mix,
der muss nix.

Erkenntnis eines Generals:
Der Angriff wird kaum weiter reichen,
da meine schweren Reiter weichen.

Cruising (I):
Er sieht manche Gecken stieren,
die nach seinem Stecken gieren.

Cruising (II):
Mit den schönen Pimmellocken
Will er andre Pimmel locken.

Es muss sogar der Coole schwitzen,
wenn ihn sieben Schwule kitzeln.

Ich sah die beiden Lustknaben
sich an einem Knust laben.

Big is beautiful:
Berta aß ’ne Masse Klöpse.
Seitdem hat sie Klasse Möpse.

Sie steht auf Astronauten:
Als anerkannte Kenner der bemannten
Raumfahrt kennen wir die Männer der Bekannten.

Der Jugendheimleiter zu seiner Rechtfertigung:
Ich musste ihnen Bier geben,
sah ich sie doch vor Gier beben.

Gutes Gesöff:
Nach Genuss von einem Kübel
wurde bislang keinem übel.

Jedoch:
Als davon die Kröte trank,
klang plötzlich ihre Tröte krank.

Schattenwirtschaft:
Morgens gehn sie Hecken stehlen,
nachmittags mit Stecken hehlen.

Der Spengler schon ’ne Delle hämmert,
eh auch nur das Helle dämmert.

Arbeitsmarktpolitik:
Angesichts von miesen Flüssen
Werde er wohl fliesen müssen

Will ich einen Kutter bauen,
muss ich erstmal Butter kauen.

Er lebt in einer Gegenwelt.
Dort tut man alles wegen Geld.

(Vergebliche) Warnung an Prigoschin:
Lässt du deine Lümmel putschen,
wirst du meinen Pimmel lutschen.

Merke aber:
Es lebt sich besser unter russischen Lüstern
als unter lüsternen Russen.

Sie heizen ihren Herd mit Gas,
Drum geizen sie bei Gerd mit Hass.

Es gilt als alte Lehre unter Küstern,
dass man gründlich kehre unter Lüstern.

Sturm aufs Kapitol:
Ich wusste, dass sie aus dem Ruder liefen,
als sie lauthals nach dem Luder riefen.

Ich will mir nur zwei Eier braten –
was soll mir da ein Bayer raten?

Pater Pius weiß Bescheid:
Er hat jeden Scheiß geweiht.

Besoffene G’schicht:
Ich lernte einer Pater kennen
und ging mit einem Kater pennen.

Der Bauer nach der Messe:
Was faselt dieser Zwerg von Bibeln?
Ich sitz auf einem Berg von Zwiebeln.

Bauernregel:
Während wir die Rinder kaufen,
lassen wir die Kinder raufen.

Verkehrssicherheit:
Wenn Sie ihr Auto dicht lenken,
sollten Sie ans Licht denken!

Eher als die Zarten gelten,
die nirgends als im Garten zelten.

Sie werden noch ne Weile gaffen,
hat der Typ doch geile Waffen.

Was soll denn diese Chose heißen:
Dass Helden in die Hose scheißen?

Solche wollen Rocker heißen,
die keinen mehr vom Hocker reißen?

Viele, die beim Start höhnen,
werden später hart stöhnen.

Wir werden an den Zielen schweigen
Und nur uns’re Schwielen zeigen.

Keine Maulhelden:
Alle, die beim Sport waren,
müssen nicht beim Wort sparen.

Eins nach dem anderen:
Eh wir einen Kuchen backen,
geh’n wir unter Buchen kacken.

The Strange Death of Social Democracy:
Bevor wir uns als Rote betten,
woll’n wir uns in die Boote retten.

Eiserne Fesseln:
Ich sage euch: vor rauen Ketten
kann man sich nicht durch Kauen retten.

Viele hassen miese Fotzen:
lassen nie das fiese Motzen.

Mehr Respekt für die Musik:
Man soll nicht über Töne scherzen,
schon gar nicht über schöne Terzen.

Lektüre-Vorlieben:
Lieber eine dicke Geschichte
lesen als schicke Gedichte.

Frohe Erinnerungen:
Ich muss an die Geschichte denken,
wie wir dem Andi Gedichte schenken.

Wir woll’n das Glück von Uschi mehren,
indem wir ihre Muschi ehren.

Doch heute woll’n wir Bert ehren:
Er hat die schönsten Erdbeeren.

Stardämmerung:
Es findet Hegel jeder schlecht,
ist doch Schlegel jetzt der Hecht.

Der Klügere gibt nach:
Warum mit dem Flegel hadern?
Soll er doch den Hegel fladern.

Abgesehen davon:
Jenen machte Hegel Flausen,
die jetzt wie die Flegel hausen.

Höhere Ansprüche:
Was dem Friedrich Schlegel recht,
find ich in der Regel schlecht.

Kynische Weisheit:
Bevor sie in die Tonne sanken,
wollten sie noch Sonne tanken.

Hundeschule:
Du sollst keinem Beine stellen
und nicht gegen Steine bellen!

Nicht normal:
Seh ich einen Köter pissen,
will ich deinen Pöter küssen.

Ausgebremst:
Über all das schräge Treiben
Kann ich nur noch träge schreiben.

*Lässt sich z.B. vom Ofen sagen, der einen beweglichen Rost, aber keinen Schürhaken hat.

 

Hewn In Water, Not In Stone

Veröffentlicht am 27. Mai 2025

Des Mythos’ von der ersten Weltumsegelung haben sich schon viele Künste angenommen: Malerei und Musik, Film und Hörspiel, der Comic und, natürlich, die Literatur in ihren verschiedenen Spielarten. Angesichts der Monumentalität des Stoffes musste jede Darstellung letztlich Stückwerk bleiben – bis zu dem Tag, an dem „Elcano“ in See stachen mit dem Ziel, das Heldenepos von den 240, die 1519 von Sevilla ausfuhren, und den 18, die 1522 zurückkehrten, nachdem sie die ganze Rundung der Welt entdeckt und umrundet hatten, endlich in die Sphäre zu heben, in die es gehört: die des Gesamtkunstwerks.

„Elcano“ sind eine Band, die sich dem „Nautical Metal“ verschrieben haben und naheliegenderweise aus der Schweiz stammen, aus Olten im Kanton Solothurn. In diesem Frühjahr haben sie ihr erstes Album veröffentlicht – eine musikalische Reverenz an „The First Circumnavigation of the World“ in 10 eingängigen Tracks mit Titeln wie „Half A World“, „Tierra Del Fuego“ und „78 Days at Sea“.

Leaflet zu „The First Circumnavigation of the World“ von „Elcano“ (Ausschnitt).

Die Oltener Interpretation des Genres „Nautical“, die offen ist für vielerlei Einflüsse von Doom über Power und Gothic bis Symphonic Metal und Shanty Chor, erweist sich auf diesem Album als kongeniale Vergegenwärtigung des Mythos. Zwar ist gegen die Befehle des Generalkapitäns eine Frau an Bord gekommen, doch das bringt dem Unternehmen kein Unglück.

Josy Fines sirenenhafter Gesang und ein ungeniert melodiöses Keyboard erzeugen das für die Thematik unablässige Pathos, während Guitarrenriffs für ordentlich Schwere im Kiel sorgen und die rauhen Kehlen des Matrosenchors die Elemente beschwören, damit die stolze akustische Armada nicht in die Untiefen des Kitsches abdriftet – eine Gefahr, die in diesen musikalischen Breiten stets dräut, die „Elcano“ aber gekonnt zu umschiffen wissen. Dies nicht zuletzt auch dank den Lyrics ihrer Songs.

Indem die Texte Schlüsselmomente des Mythos ansprechen, vermessen sie einen weiten Horizont existenzieller Themen, die seit alters an der Seefahrt hängen: Flaute und Wahnsinn, Gier und Verzweiflung, Sturm und Tod, Mond und Sterne, Hunger und Alkohol – das alles in einem durchwegs hohen Ton, der gekonnt zwischen päpstlicher Kanzlei des 15. Jahrhunderts und Coleridge’s „Rime of the Ancient Mariner“ oszilliert.

Zu erwähnen ist last, but not least das liebevolle Artwork, an dem sich Käuferinnen der CD oder Käufer der Vinyl Edition erfreuen können.

„We hope for land, a world without a name
Where our dreams come true, we lay our claim …“

Mit diesem Album haben „Elcano“ nicht nur einen Traum wahrgemacht, sondern auch einen starken „claim“ erhoben auf das definitive musikalische Reenactment der Ersten Erdumsegelung!

Website der Band

Album auf bandcamp

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Angesagt

Veröffentlicht am 8. April 2025

In einer neuen Reihe von Beiträgen in der Wochenzeitung „Die Furche“ stellen Sandra Gugić, Daniel Wisser, Christa Zöchling und ich reihum Bücher vor, von denen wir meinen, dass wir sie gerade jetzt wieder lesen sollten. Bücher, die vielleicht schon vor langer Zeit erschienen sind, die uns aber heute mehr denn je „angesagt“ erscheinen – so lautet denn auch der Titel der Reihe.

Den Anfang machte Christa Zöchling mit Philipp Roths Roman „Verschwörung gegen Amerika“. Es folgten Daniel Wisser mit Else Feldmanns „Der Leib der Mutter“ und Sandra Gugić mit Victor Klemperers „LTI – Lingua Tertii Imperii“. In der aktuellen Ausgabe stelle ich nun Hertha Paulis „Der Riss der Zeit geht durch mein Herz“ vor, in der die österreichisch-amerikanische Autorin die Geschichte ihrer Flucht vor den Nazis erzählt, zuerst im März 1938 aus Österreich und dann, nach dem deutschen Angriff im Mai 1940, auch aus Frankreich.

Bild: Carl Hanser Verlag, München

Meine Generation von Europäern kennt diesen Kontinent vor allem als Ziel von Geflohenen und Flüchtenden. Das Buch von Hertha Pauli erinnert uns daran, dass vor gar nicht allzu langer Zeit sehr viele Menschen aus Europa fliehen mussten. Und sich glücklich schätzen durften, wenn sie anderswo Aufnahme fanden – so wie die Autorin nach viel Zittern und Bangen schließlich in den USA.

So dramatisch die Umstände ihrer Flucht waren, so unprätentiös schildert Hertha Pauli, was ihr widerfuhr. Sehr lesenswert auch, was und wie sie von den Menschen erzählt, denen sie unterwegs begegnete, darunter viele namhafte Persönlichkeiten der Kulturwelt wie Ödön von Horvath, Joseph Roth, Walter Mehring und Alma Mahler-Werfel.

Erschienen sind Hertha Paulis Erinnerungen zuerst 1970 und seither in mehreren Neuauflagen, zuletzt 2022 bei Zsolnay.

Wer mehr über „Die große Flucht der Literatur“ aus Europa und Frankreich wissen will, dem oder derjenigen sei auch das Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock empfohlen.

Die Reihe „angesagt“ erscheint alle zwei Woche – auch online – in „Die Furche“.

Wir, die Objektiven

Veröffentlicht am 10. März 2025

Als regelmäßiger Konsument dieser Reality-Show namens „Politik“ komme ich mir derzeit vor wie in dem alten Witz, wo einer sagt: Setz dich erstmal ruhig hin und atme tief durch, es könnte schlimmer kommen, und du setzt dich ruhig hin, atmest tief durch, und es kommt schlimmer.

Dabei hat das ganze etwas Gespenstisches, weil der Alltag in unseren Wohnungen und Büros scheinbar unbeschadet weitergeht – wie an jenem 11. September, als wir vor dem Fernseher zusahen, wie die zwei Türme einstürzten. So können wir jetzt live dabei zuschauen, wie das Kartenhaus aus Heuchelei und Illusionen, das wir „Weltordnung“ nannten und von dem wir meinten, es sei in Stein gemeißelt, auseinanderfliegt.

Schon einmal habe ich eine Zeit erlebt, in der sich die Ereignisse derart überschlugen, dass ich kaum hinterher kam: nach dem 9. November 1989, als die Mauer über Nacht zerbröckelte und mit ihr die Weltordnung, die sie symbolisierte.

In der Erinnerung vieler Leute – auch solcher, die sie wie meine Tochter nicht selbst erlebt haben – ist diese Zeit mit positiven Gefühlen verbunden: eine Zeit des Aufbruchs, der Hoffnungen, grenzenloser Freiheit. Aus heutiger Perspektive erkennt man eher eine Epoche des Leichtsinns, der ungenutzten Chancen und falschen Versprechungen.

Die Wiedervereinigung und das Internet waren für meine Generation wohl die größten Umwälzungen jener Jahre. Beide wurden mit geradezu millenaristischer Euphorie gefeiert. Beide haben sich als demokratiepolitische Desaster erwiesen. Und die dritte große Hoffnung, nein, eigentlich gewisse Erwartung meiner Generation – Europa? Immerhin, die Union gibt es noch.

In meiner persönlichen Erinnerung sind die Jahre Ende der 80er, Anfang der 90er alles andere als rosarot getönt. Die Dynamik des Umbruchs damals verunsicherte mich, ebenso die Gewalt, die mit ihm einherging. Der auf einmal wieder grassierende Nationalismus in Deutschland, in Osteuropa. Brennende Asylantenheime, „Glatzenstress“ nachts auf den Straßen. Boom der organisierten Kriminalität. Die Sorge: Was wird aus den sowjetischen Atomwaffen? Krieg im zerfallenden Jugoslawien, Krieg in der zerfallenden UdSSR: Bergkarabach, Abchasien, Südossetien. Tschetschenien. Islamismus und Staatsterror in Algerien. Und schließlich: Ruanda.

Während des Bosnienkriegs ab 1992 nahm die Dichte an Horrormeldungen derart zu, dass ich monatelang gar keine Nachrichten mehr verfolgte. Das ging damals leichter als heute, vor allem wenn man wie ich keinen Fernseher hatte. Aber die Augen vor der Welt und ihren Gefahren zu verschließen, ist auf Dauer auch keine Lösung.

Ist die Welt heute gefährlicher als vor dreißig Jahren? Für uns Mitteleuropäer wahrscheinlich ja. Dennoch sind Illusionen etwas, dessen Verlust ich nicht beklagen kann. So übertrieben ich damals den Optimismus meiner Zeitgenossen fand, so kleinmütig finde ich heute ihren Pessimismus. Wir wissen nicht, wie die Geschichte ausgeht. Wir wussten es noch nie.

Aber wir wissen, was auf dem Spiel steht. Frieden ohne Freiheit ist wertlos. Und Freiheit ohne Gerechtigkeit ist Tyrannei. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Menschen in der Ukraine, die seit Jahren gegen das Unrecht kämpfen. Ihre Niederlagen nämlich beweisen nichts, als dass sie zu wenige sind …

Lassen wir die Ukraine nicht im Stich!

Endlich wieder erhältlich:

Pigafetta auf Deutsch

Veröffentlicht am 21. Januar 2025

Er ist mir ans Herz gewachsen, der gute Pigafetta. Von 1519 bis 1522 ist er unter den Kapitänen Magalhães, Carvalho, Gómez Espinosa und Elcano einmal rund um den Erdball gesegelt. Es war das erste Mal, soweit wir wissen, dass Menschen eine solche Reise unternommen haben, und Pigafetta hat darüber berichtet – so anschaulich und unterhaltsam, dass sich sein Bericht noch heute liest, als wäre sein Autor eben erst aus der Ferne zurückgekehrt.

Zu Recht gilt sein Werk daher als Klassiker der Reiseliteratur. Es wurde in viele Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche, aber bis vor wenigen Jahren waren alle deutschen Übersetzungen, die es von Pigafettas Bericht gab, gekürzt und teils grob verfälscht. Daher habe ich den Text neu übersetzt, zum ersten Mal direkt aus der Originalsprache ins Deutsche, und die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg) hat die Neuübersetzung 2020 als Buch herausgebracht.

Leider ist die wbg Ende 2023 insolvent gegangen. Seitdem war die Neuübersetzung vergriffen und Pigafettas schöner Bericht abermals nur in unvollständiger, entstellter Form erhältlich. Um so mehr freue ich mich, dass der Verlag C.H. Beck nun eine überarbeitete Neuauflage meiner Übersetzung auf den Markt bringt. Sie kommt demnächst in die Buchläden und wird gewiss allen Menschen Freude machen, die gern mit Büchern auf die Reise gehen.

Zur Website des Verlags

Lesefrucht

Veröffentlicht am 23. Dezember 2024

„Man braucht sich vor den wilden Männern nämlich nie zu fürchten. Je mehr wirklich in ihnen steckt, desto eher bequemen sie sich den wirklichen Verhältnissen an, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gibt. Ich weiß nicht, ob Ihnen das auch schon aufgefallen ist, aber es hat noch nie eine Opposition gegeben,  die nicht aufgehört hätte, Opposition zu machen, wenn sie ans Ruder gekommen ist; das ist nämlich nicht bloß so, wie man glauben könnte, daß es sich von selbst versteht, sondern das ist etwas sehr Wichtiges, denn daraus entsteht, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Tatsächliche, Verläßliche und Kontinuierliche in der Politik!“

Graf Leinsdorf („Se. Erlaucht“)

Mein kleiner Laden

Veröffentlicht am 3. Dezember 2024

Stellen sie sich diesen Webauftritt vor wie einen jener kleinstädtischen Läden, deren Auslagen man ansieht, dass die Inhaber schon länger nicht mehr in ihr Geschäft investiert haben: das Schaufenster leicht trübe, die Fotos verblichen, die spärlichen Waren nicht mehr der neuste Schrei, aus dem Postkasten quillt Werbung, und die eigenartigen Öffnungszeiten künden weder von reger Nachfrage noch von ausuferndem Arbeitseifer.

Leben können die davon nicht, denkt vielleicht, wer an einem solchen Laden vorbeigeht, und dass die Eigentümer – müssten sie Miete zahlen, hätten sie längst zugesperrt – wohl bald in Pension gehen. Letzteres trifft in diesem Fall nicht zu (und wird angesichts meiner Rentenprognose auch nie eintreten), ersteres durchaus. Aber das mit dem mangelnden Arbeitseifer würde ich doch gern richtigstellen.

Hinter dem Laden befindet sich eine kleine Werkstatt, mit einem Ofen, Bücherregalen und einem Schreibtisch, an dem der Besitzer Tag für Tag seinem Handwerk nachgeht. Hin und wieder arbeitet er auf Bestellung, das ein oder andere Stück kommt in die Auslage, manches wieder ist nur für den Hausgebrauch. Und dann ist da noch das große Werk, an dem er seit Jahr und Tag spinnt und webt und von dem er nicht weiß, ob er es jemals vollenden wird.

Wer öfters vorbeikommt und vor dem Schaufenster stehen bleibt, wird bemerken, dass die Auslage sich immer wieder verändert. Ab und zu wird aufgeräumt, neue Dinge kommen hinein, und manchmal kann man abends sogar Licht sehen, das in der Werkstatt brennt und durch einen Türspalt in den Ladenraum fällt.

Eskapismus

Veröffentlicht am 26. November 2024
Es gibt genügend Ungemach auf Erden
Und Dinge, die den Tag dir bald vergrämen.
Die Medien sind voll von düstern Themen,
Die Welt ein Dorf mit lauter Krisenherden.

Sie wollen nicht ganz ernst genommen werden,
Doch ihre Gegner müssen sie ernst nehmen,
Und rühren sie dich auch nicht gleich zu Tränen,
So werden sie den Tag dir nie verderben.

Wenn du mal ein Problem hast, brauchst du nur
Das A-Team einzuschalten. Hannibal
Hat immer einen Plan, und mit Bravour

Tun Faceman, Murdock und B.A. ganz schnell,
Was nötig ist – der Rest ist Action pur.
Und schon ist meine Stimmung wieder hell.
>> ältere Beiträge

Treu gedient

Veröffentlicht am 9. November 2024

Dass angesichts der Wiedervereinigung keine Euphorie angebracht war, haben trotz ihrer Jugend hellsichtige Geister wie ich schon 1990 geahnt. Unsere größte Sorge war damals, dass liebgewonnene Errungenschaften der in der DDR entfalteten Produktivkräfte nun abgewickelt würden: etwa die real-existierende Satirezeitschrift „Junge Welt“, die Briefmarken mit den aufmunternden Parolen und vor allem natürlich die köstliche Koffeinbrause „Club-Cola“.

Denn die meisten DDR-Bürger wollten erklärtermaßen ja keine Freiheit, sondern „Marlboro, Golf GTI und ’nen Videorecorder“. Doch wir haben den Kapitalismus unterschätzt. Er ist in der Lage, alles, aber auch wirklich alles in Waren zu verwandeln, also nicht nur profane Dinge wie Gesundheit, Bildung und Liebe, sondern auch die Erinnerung an das real-existierende Glück hinter sozialistischen Mauern.

So kommt es, dass sich diese Erinnerung heutzutage mit einer breiten Palette von Konsumartikeln pflegen lässt, die Markennamen von ehemaligen Ostprodukten tragen und dank Internet nun auch im Westen käuflich sind: Halloren-Kugeln, Rotkäppchen „Mocca Perle halbtrocken“, Rasierwasser „TÜFF ROT“ und und und. Auch Club-Cola wird weiter produziert, wenn auch „Nicht für jeden. Nur für uns.“

Selbst wenn es sich um einen Nischenmarkt handeln mag: Studiert man das Angebot von spezialisierten Online-Händlern wie „ossiladen.de“, gewinnt man den Eindruck, dass der Sozialismus sich 2024 einer Produktivität und Nachfrage erfreut, die ihm vor 1989 versagt blieben. Wie viele der damals 2,7 Millionen NVA-Reservisten trugen in ihrer Freizeit T-Shirts, auf deren Brust das „Original-Abzeichen“ eines bewaffneten Organs der DDR prangte – mit dem Slogan „TREU GEDIENT“ darunter? Und dann noch eines mit dem Emblem der allseits beliebten „Grenztruppen“?

Solche Paraphernalia bewarb der Online-Händler „Ossiladen“ neulich in einem Newsletter mit der Behauptung, NVA-Soldaten hätten in „der einzigen deutschen Armee“ gedient, „die nie einen Krieg führte“. Lassen wir diesen Seitenhieb auf die Bundeswehr mal beiseite – er spielt womöglich auf ihre Beteiligung an der völkerrechtlich umstrittenen „Operation Allied Force“ 1999 an – und konzentrieren uns auf die folgende Behauptung: „Die sich weigerte, auf das eigene Volk zu sdc“ (sic!).

Was wollte die Marketing-Fachkraft des VEB „Ossiladen“ hier eigentlich geschrieben haben: „schießen“?

Wie oft die Grenztruppen der DDR den Schießbefehl verweigerten, bezeugen die mindestens 140 (und mutmaßlich viel mehr) Todesopfer allein an der Berliner Mauer …

Allgemeiner Trend

Veröffentlicht am 17. Oktober 2024
Und wieder lieg ich hier auf meiner Yacht,
Dem eitlen, leeren Müßiggang ergeben
Und gänzlich ohne Plan und Sinn im Leben,
Da hab ich unversehens mir gedacht:

Was wohl die Lena Hoschek derzeit macht,
Die für ihr unternehmerisches Streben,
Die Mode zum Geschäftszweck zu erheben,
von mir einst mit Bewunderung bedacht?

Was muss ich nun im Internet erfahren?
Auch sie folgt einem allgemeinen Trend,
Der leider zunimmt in den letzten Jahren

Und sichtlich keine Gegenrichtung kennt:
Es wankt nun auch das Reich der Modezarin,
die Hoschek ist seit kurzem insolvent.